Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse (WAP) - Chronik (Stand 2016)

Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse (WAP) - Chronik

Chronik des Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse (WAP) (Stand 2016)

1947 wurde der Wiener Arbeitskreis für Tiefenpsychologie gegründet. Dies war die formelle Konstituierung des tiefenpsychologischen Seminars, eines seit 1945 bestehenden Kreises von PsychologInnen, ÄrztInnen, PhilosophInnen und anderen, an der Psychoanalyse Interessierten. Die Vereinsgründung war mit der Einrichtung eines eigenen Lehr- und Ausbildungsprogramms verbunden. Leiter der Gruppe und Gründer des Arbeitskreises war der aus Russland nach Österreich eingewanderte Igor Caruso. Caruso studierte  „Psychologie und Erziehungswissenschaften“ an der Universität Louvain und promovierte am 17.7.1936 mit einer Dissertation über „la notion de responsabilité et de justice immanente chez l’enfant“. Damit erwarb sich Caruso den Titel „Docteur ès Sciences Pédagogiques“, Doktor der Erziehungswissenschaften.  

1967 erhielt Caruso eine Berufung als Honorarprofessor für Psychologie an die Universität Salzburg. 1970 wurde er Ordinarius für Klinische Psychologie und Sozialpsychologie. Salzburg zählte zu diesem Zeitpunkt als die einzige Universität Österreichs, an der Psychoanalyse gelehrt wurde.
1981 starb Igor Caruso und hinterließ ein schwieriges und gleichzeitig vielschichtiges Erbe. Die Tatsache, dass Igor Caruso im Jahre 1942 acht Monate lang an der „Kinderfachabteilung“ am Spiegelgrund (der psychiatrischen Anstalt Am Steinhof) beschäftigt war, dort auch psychologische Gutachten über Kinder erstellte, wirft die Frage auf, in wie weit Caruso in das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten verstrickt war? Diese Forschung ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Innerhalb des WAP werden diverse Veranstaltungen zur Auswirkung dieser Schattenseite auf die Geschichte des WAP und seiner Mitglieder abgehalten (siehe Literatur). Andererseits ließ sein Wirken in Salzburg bis heute nachhaltige positive Spuren auf dem Feld der Sozialpsychologie und Psychiatrie zurück. Zusammen mit Heimo Gastager etwa trat Caruso für eine Psychiatriereform ein, die einen paradigmatischen Wechsel einläutete. Aus seinen Randgruppenseminaren gingen Sozialprojekte hervor, die sozial schwächer gestellte Menschen rechtliche, soziale und psychologische Unterstützung bot.
In einer wechselvollen Geschichte wandelte sich der Arbeitskreis von einer losen philosophischen, medizinischen, theologischen, psychoanalytischen Diskussionsgruppe in ein psychoanalytisches Institut, das im psychoanalytischen Feld in Wien beziehungsweise in Österreich nach 1945 eigene Akzente setzte. In den 1960er Jahren bezog man sich vermehrt auf die Psychoanalyse Freuds. Carusos Theorie der Progressiven Personalisation geriet in den Hintergrund. Psychoanalytische Konzepte wie Übertragung, Widerstand oder Abstinenz gewannen an Bedeutung. Nach Carusos Übersiedlung nach Salzburg entwickelte der Wiener Arbeitskreis zunehmend ein eigenständiges psychoanalytisches Leben, auch wenn Carusos Einfluss noch länger bestehen blieb. Im Zuge der forcierten Orientierung zur klassischen Psychoanalyse gab es mehrere Abspaltungen von KollegInnen, die diesen Wechsel nicht mittragen wollten.
1988 erfolgte unter der Präsidentschaft Elisabeth Mayers eine Umbenennung des Wiener Arbeitskreis für Tiefenpsychologie in Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse. Ebenso in den 1980er Jahren wurde die Lehranalyse auf vier Stunden verpflichtend für alle AusbildungskandidatInnen festgelegt. Innerhalb des Wiener Arbeitskreises werden heute im lebendigen Austausch die wichtigen psychoanalytischen Schulen vertreten und haben ein konstruktives theoretisches Miteinander gefunden.

Die Vorsitzenden des Wiener Arbeitskreises für Psychoanalyse

1947-1973 Igor Caruso
1969-1973 Raoul Schindler, Geschäftsführender Leiter
1973-1985 Raoul Schindler, Leiter
1985-1989 Elisabeth Mayer
1989-1990 Rainer Danzinger
1990-1996 Josef Shaked
1996-2000 Johannes Ranefeld
2000 interimistisch: Franz Knasmüller
2000-2007 Walter Parth
2007-2015 August Ruhs
2015-          Fritz Lackinger

(Akten der Generalversammlungen sind im Innenministerium ab 1954 erfasst.)

Gründungsaktivitäten

Ausgehend von der Gründung des Wiener Arbeitskreis für Tiefenpsychologie wurden zahlreiche weitere Arbeitskreise und Arbeitsgemeinschaften national und international gegründet:

1953 Gründung: Gruppe Innsbruck des Wiener Arbeitskreis für Tiefenpsychologie, Leitung Eduard Grünewald. Ab 1957 laut Statuten mit dem Wiener Arbeitskreis für Tiefenpsychologie. Seit 1976 als eigenständiger Verein. Siehe auch: http://www.psychoanalyse-innsbruck.at

1956 Gründung: Brasilianischer Arbeitskreis für Tiefenpsychologie, Leitung Malomar Lund Edelweiß.

1958 Gründung: Internationales Generalsekretariat der Arbeitskreise für Tiefenpsychologie, Leitung Univ. Prof. V. Neubauer.

1959 Gründung: Berner Arbeitskreis.

1963 Gründung: Arbeitsgruppe in Bogota.

1964 Gründung: Argentinische Arbeitsgruppe für Tiefenpsychologie.

1965 Konstituierung: Bundesdeutsche Gruppe des Innsbrucker und Wiener Arbeitskreises.

1966 Gründung: Mexikanische Arbeitsgruppe.

1969 Gründung des Salzburger Forschungs- und Arbeitskreis für Tiefenpsychologie und Psychosomatik. 1974 Umbenennung in Salzburger Arbeitskreis für Tiefenpsychologie, ab 1989 Salzburger Arbeitskreis für Psychoanalyse (SAP). Anfang der 1990er bildete sich eine Klagenfurter Gruppe im SAP, die jedoch vereinsrechtlich kein eigener Verein ist.

1973 Konstituierung der Linzer Gruppe für Tiefenpsychologie, Leitung Harry Merl.

1973 Konstituierung der Grazer Gruppe für Tiefenpsychologie, Leitung Erich Pakesch. 1978 bildete diese Gruppe den Grazer Arbeitskreis für Tiefenpsychologie. 1993 Umbenennung in Grazer Arbeitskreis für Psychoanalyse. 2004 schlossen sich der Linzer und Grazer Arbeitskreis zum Arbeitskreis für Psychoanalyse Linz/Graz zusammen.

1974 Gründung: Internationale Föderation der Arbeitskreise für Tiefenpsychologie.

1979 Gründung der ARGE Rheintal, eine Innsbrucker KollegInnengruppe in Vorarlberg. 1985 ging daraus das gegenwärtige Psychoanalytische Seminar Vorarlberg(PSV) hervor.

texte. psychoanalyse. ästhetik

1981 wurden diese Zeitschrift unter dem Namen Texte. Theorie und Praxis der Psychoanalyse von Gunther F. Zeilinger und Alois Tafertshofer als Publikationsorgan des Innsbrucker Arbeitskreises ins Leben gerufen. Als texte. psychoanalyse. ästhetik. Kulturkritik wird sie seit 1992 vom Passagen-Verlag Wien herausgegeben und stellt Österreichs einzige Quartalschrift mit nationalen und internationalen Beiträgen dar. Als wissenschaftliche und praxisorientierte psychoanalytische Zeitschrift widmen sich die texte neben dem klinisch-therapeutischen Bereich auch allen anderen Anwendungsgebieten der Psychoanalyse. Dabei fördern sie das Verständnis für deren Interdependenzen und pflegen einen inter- und transdisziplinären Austausch mit wissenschaftlichen Nachbargebieten. 

Das gegenwärtige HerausgeberInnenteam setzt sich zusammen aus: Ulrike Kadi, August Ruhs, Karl Stockreiter und Gerhard Zenaty. Die Redaktion Deutschland liegt bei Annemarie Laimböck. http://www.passagen.at – Zeitschriften.

Freiberg

1992 wurde die Wissenschaftliche Gesellschaft der Arbeitskreise für Psychoanalyse in Österreich gegründet, welche später auf die Kurzbezeichnung Freibergumbenannt wurde. Freiberg widmet sich der Kooperation der FachkollegInnenschaft in den Bereichen der psychoanalytischen Fortbildung und Forschung und veranstaltet jährliche Tagungen und Symposien zu psychoanalytischen Schwerpunkten. http://www.psychoanalyse-freiberg.at.

Beratungsstelle des WAP

1994 siedelte der WAP in die Berggasse 17 im IX. Wiener Bezirk. Damit erhielt der Verein erstmals ein eigenes offizielles Vereinslokal in der geschichtsträchtigen Berggasse. Im selben Jahr wurde eine kostenlose psychoanalytische Beratungsstelle für Erwachsene und Jugendliche eingerichtet. Im Rahmen von zwei kostenlosen Beratungsgesprächen besteht für die Hilfesuchenden sowohl die Möglichkeit einer diagnostischen Klärung, als auch der psychotherapeutischen Weitervermittlung.

Tel: (01) 319 35 66.

Jour fixé

Ein ständiges Forum der Öffentlichkeitsarbeit ist der Jour fixé, eine Veranstaltungsreihe, die sich mit Vorträgen und kleinen Seminaren zu psychoanalytischen Themen an ein breites Publikum wendet. E-mail an: psychoanalyse@aon.at.

Psychoanalytische Ausbildung

Der Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse (WAP) versteht sich seit seiner Gründung im Jahr 1947 als wissenschaftliche Fachorganisation mit dem Ziel der Bewahrung, Förderung und Weiterentwicklung der von Sigmund Freud begründeten Psychoanalyse. Seit Anfang der 1960er Jahre wird die psychoanalytische Ausbildung nach einem differenzierten Curriculum organisiert.

Der WAP bietet eine – den Standards des österreichischen Psychotherapiegesetzes und der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPA) entsprechende – berufsbegleitende fachspezifische Ausbildung zur Psychoanalytikerin/ zum Psychoanalytiker (siehe > Curriculum) an. Der Abschluss der Ausbildung ermöglicht die Eintragung in die PsychotherapeutInnenliste des Bundesministeriums; in der Folge kann die Voll-Mitgliedschaft im WAP und in der IPA erworben werden. Die Zulassung zur Ausbildung erfolgt durch die Ausbildungskommission (AUKO).
 

Organisationform

Der Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse ist als gemeinnütziger Verein organisiert und unterliegt somit dem Vereinsgesetz. Oberstes Gremium ist die Generalversammlung der Mitglieder, sie wählt – nach festgelegter Geschäftsordnung – den Vorstand, die Rechnungsprüfer und die Ausbildungskommission (AUKO). Die Aufgaben und Rechte dieser Organe sowie Regelungen für Konfliktfälle werden in den Statuten beschrieben. Der WAP hat eine durch die Generalversammlung gewählte Ethikkommission und einen verbindlichen Ethikkodex, der wesentliche Prinzipien professionellen Verhaltens von PsychoanalytikerInnen festlegt. Der Kodex gilt für alle Mitglieder, AusbildungskandidatInnen und soweit davon betroffen, auch das Verwaltungspersonal.

IPA-Aufnahme

1997 wurden mit Initiative Wolfgang Lassmanns und später Brigitte Grossmann-Gargers (unter dem WAP-Vorsitz Johannes Ranefelds) die ersten informellen Kontakte zur IPA beziehungsweise David M. Sachs und Otto F. Kernberg aufgenommen. Im selben Jahr stellte der WAP ein offizielles Ansuchen um Mitgliedschaft in der IPA.

1998 erfolgte der erste Besuch des Ad Hoc Site Visit Committees (J. Danckwardt, N. Treuerniet, J.C. Rolland) im WAP. Im selben Jahr besprachen die Vorstände des WAP und der WPV die IPA-Aufnahme des WAP. 

1999 bestätigte das Ad Hoc Site Visit Committee die Voraussetzungen des WAP zur Bildung einer IPA-Study-Group. Im Dezember 1999 erfolgte die positive Stellungnahme der WPV.
2000 trat unter dem Vorsitz Johannes Ranefeld der Vorstand des WAP zurück. Der zurückgetretene Präsident wollte der IPA nur unter der Voraussetzung beitreten, dass der Verein als Ganzes mit all seinen Mitgliedern als Study-Group akzeptiert würde, um jahrelange Prozesse individueller Evaluierungen zu vermeiden. Dies wurde jedoch von der IPA abgelehnt. Unter dem neu gewählten Vorstand (Vorsitz Walter Parth) wurde der Prozess der Implementierung von IPA-Standards fortgesetzt. Im Sommer installierte die IPA ein neues Site Visit Committee (Gertie Bögels Nijmegen, Niederlande; Joachim Danckwardt, Tübingen; Imre Szecsödy, Stockholm) mit der Aufgabe, Einzelbewerbungen zur direkten Mitgliedschaft zu evaluieren und durchzuführen.
2002 beschlossen die Mitglieder des WAP (unter dem Vorsitz Walter Parths) eine IPA-Study-Group einzurichten. Ein Sponsoring Committee to the Study Group of the IPA in the Arbeitskreis für Psychoanalyse (wiederum: Gertie Bögels Nijmegen, Niederlande; Joachim Danckwardt, Tübingen; und Imre Szecsödy, Stockholm), besuchte nun regelmäßig zwei Mal jährlich den WAP für Arbeitstreffen und Evaluierungen.
2007 übernahm die jetzige Vorsitzstellvertreterin Marlene Roth-Greussing die IPA-Agenden.
2009 wurde dem WAP auf dem IPA-Kongress in Chicago der Status der IPA-Provisional Society verliehen. Seit diesem Status besucht das IPA-Committee den WAP ein Mal im Jahr zu gemeinsamen Arbeitstagungen.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ließen sich 46 Mitglieder des WAP zu IPA-Mitgliedern evaluieren.
2013 wurde der Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse am IPA-Kongress in Prag als Component Society in die IPA aufgenommen.

Derzeit (Juli 2016) zählt der WAP 86 Mitglieder und 56 AusbildungskandidatInnen.

Wiener Psychoanalytische Akademie (WPAk)

2006 (Dezember) gründeten die Wiener Psychoanalytische Vereinigung (WPV) und der Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse (WAP) gemeinsam die Wiener Psychoanalytische Akademie (WPAk). Die Wiener Psychoanalytische Akademie ist ein öffentlich zugängliches Zentrum für Psychoanalyse und ihre Anwendungen. Sie stellt einen institutionellen Rahmen zur Verfügung für Vermittlungs- und Forschungsaufgaben, interdisziplinären Austausch und projektbezogene Zusammenarbeit. Die Akademie gliedert sich in drei Departments mit jeweils spezifischen Arbeitsbereichen. A) Department Theorie – Geschichte – Kultur. B) Department Klinik und psychosoziale Arbeitsfelder. C) Department Gesellschaft, Wirtschaft und Organisation. Siehe: www.psychoanalyse-wien.at.
2007 (Dezember) bezog der WAP gemeinsam mit der WPV neue Räumlichkeiten am Salzgries 16/3A im ersten Wiener Gemeindebezirk. In den Räumen der beiden Vereine finden auch die Aktivitäten der WPAk statt.
2008 (März) wurden das psychoanalytische Zentrum und die WPAk am Salzgries 16/3 offiziell eröffnet.

Text: Beate Hofstadler, 10.9.2010
erweitert von Fritz Lackinger, 6.7.2016