Thomas Aichhorn: Eine kurze Notiz zur Biographie

Erikson, E. H. (Erik Homburger) (1902-1994), wurde in Frankfurt am Main geboren. Er verstand sich in jungen Jahren als Künstler; 1922 besuchte er in Karlsruhe und München die Kunstakademie und unternahm 1923 eine Europareise. In Florenz lernte er Peter Blos kennen. 

Blos berichtete, er hätte Anna Freud vorgeschlagen, seinen Freund – Erikson – als seinen Mitarbeiter für die 1927 gegründete „Hietzing Schule“ oder „Burlingham-Rosenfeld-Schule“ zu engagieren. Blos schrieb: „The friend I spoke of was Erik Homburger (later: Erik H. Erikson). At the time, he lived in our home town, Karlsruhe, Germany. His career as an artist had come to an end; at the present he tried in vain to pass the examination for becoming an art teacher in high school. In Germany, this examination required an advanced knowledge of plain and solid geometry which he failed to master. He lived a desolate, depressed, and hopeless existence from which I was determined to rescue him. Being an excellent graphic portraitist, I asked Mrs. Burlingham to commission him to draw her four children. Everything worked out the way I had planned and the interview between Anna Freud and Erik Homburger took place. I talked with her afterwards. She told me that she liked my friend but questioned his fitness to be a teacher. She put it to me this way: if you will see to it that the children learn something, he can come. My answer was brief and somewhat arrogant: Just leave it to me. Thus Mr. Homburger was hired as a teacher of the new school” (Blos 1975, S. 13f).

Erikson unterrichtete an der Schule die Fächer Kunst, Werken, Geographie und Geschichte. In den 1930 und 1931 in der ZPP erschienen Aufsätzen „Die Zukunft der Aufklärung und die Psychoanalyse“ (Erikson 1930) und „Triebschicksale im Schulaufsatz“ (Erikson 1931) berichtete er über die Arbeit an der Schule. 

Erikson, von Anna Freud, deren Analysand Erikson war, und Aichhorn in die Psychoanalyse eingeführt, wurde 1933 Mitglied der WPV. Im selben Jahr ging er über Kopenhagen nach Boston, wo er, obwohl kein Mediziner, Mitglied der dortigen psychoanalytischen Gesellschaft wurde und eine kinderanalytische Praxis eröffnete. 1939 übersiedelte er nach San Francisco, wurde dort Lehranalytiker und arbeitete zeitweise auch an der Menninger Foundation in Topeka.

Durch seine Feldforschungen sowie seine rege Publikationstätigkeit, in der er psychoanalytische mit soziologischen und kulturanthropologischen Überlegungen verknüpfte, wurde Erikson in den USA sehr bekannt. 1949 erhielt er eine Professur in Berkeley, 1950 erschien „Kindheit und Gesellschaft“, 1969 „Gandhis Wahrheit“ und 1966 „Identität und Lebenszyklus“. 1970 wurde er mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet (Coles 1970; Erikson-Bloland 2007; Friedman 1999).

Vor seiner Abreise aus Wien hatte Erikson Aichhorn einen Abschiedsbrief geschrieben: „Lieber Herr Vorstand, glauben Sie nicht, ich hätte den technischen Einfall vergessen, die Sie mir zuletzt erzählt haben. Aber da die einzige Analysestunde, die ich noch vor mir hatte, die letzte Stunde einer Patientin war, konnte ich das Experiment nicht mehr anbringen. […] Und nun muß ich Ihnen also für eine viel längere Zeit Adieu sagen, als ich es neulich tat. Werden Sie ungehalten sein, wenn ich die Gelegenheit benütze, Ihnen ein sehr persönliches Wort zu sagen? Wenn ich an die Wiener Zeit zurückdenke, so kann ich sagen, dass ich allerhand gelernt und erreicht habe, was ich jetzt mit mir nehme. Peter [Blos] ist die Schattenseite, die ich immer als traurig empfinde, zugleich aber überzeugt, dass er selbst (bzw. seine unselige Erziehung) dafür gesorgt hat, Schatten zu werden. Als eigentliche Lücke, fast möchte ich sagen moralische Niederlage empfinde ich es, dass ich Ihnen nicht näher gekommen bin. Die ersten Besprechungen mit Ihnen erscheinen mir immer noch als der viel versprechende Anfang von etwas, was in dem Augenblick abgebrochen wurde, als ich Anna Freud um die Analyse bat. Da folgte ich dem Bleigewicht meiner Kindheit, die ich mit meiner Mutter allein und mit Tanten verlebt hatte, ohne Vater. Sie werden diese verhängnisvolle Konstellation unschwer in dem Wiener Tanten-Ensemble wieder erkennen, in dessen Übertragungsnetz ich mich verfing. Gut, das wurde analysiert – und mit Erfolg, wie man sagen muss. Ganz unverständlich war mir aber immer ein Gefühl nachher, als hätte ich Sie verraten. Es verleidete mir den Verkehr mit Ihnen – und ich agierte es, wie Sie sich erinnern werden, mehrmals, indem ich Sie ‚zufällig’ ‚verriet’. Sie hatten natürlich anderes zu tun als sich zu überlegen, warum ich so blöd und so unzuverlässig war. Bestenfalls sagten Sie sich. Schade, dass er so an den Tanten hängt – und an dem, was die Tanten umgibt. Erst ganz kürzlich ist mir eingefallen, woher dieses Gefühl Ihnen gegenüber und die ganze Unklarheit meines Verhältnisses zu Ihnen stammt. Als ich damals mit meiner Mutter allein war, bis ans Ende des dritten Lebensjahres, war mein Vater verschollen. Ich hatte ihn nie gesehen, wusste nur: in Amerika ist er – und idealisierte ihn. Und dann ließ meine Mutter ihn tot erklären, um frei zu sein. Meine früheste Erinnerung ist, wie der Brief mit der Toterklärung kommt. Dann vergaß ich das Ganze und erfuhr erst wieder mit siebzehn Jahren davon, während ich bewusst immer angenommen hatte, mein Stiefvater sei mein Vater. Das unbewusste Wissen um den verratenen Vater muss es gewesen sein, das mich Ihnen, dessen Führung ich mich so gern überlassen hätte, entzog. Sie werden hoffentlich nicht annehmen, dass meine ganze Korrespondenz jetzt aus analytischen Selbstbekenntnissen besteht. Warum ich mich diesmal dazu verleiten lasse, in der Hoffnung, dass Sie diesen Brief Ihrerseits mit einem Rest von väterlichen Gefühlen aufnehmen, hat folgenden Grund: Natürlich hatte ich auch immer die unbewusste Phantasie, den verratenen Vater in Amerika wieder zu finden, wenn ich einmal hinfahren sollte. Das war wohl der Inhalt eines vieljährigen Wandertriebes. Und nun fahre ich nach Amerika…Und da denke ich, darf ich mir einmal das Verhängnis klar machen, das mir nicht ein zweites Mal einen wertvollen Lehrer rauben soll; darf es dem Mensch, an dem ich es erlebt habe, auch sagen, da er ein Analytiker ist – und darüber hinaus hoffentlich doch so etwas wie ein väterlicher Freund bleibt.“[1]

Aichhorn antwortete ihm: „Lieber Erik! Vielen Dank für Ihren Brief. Es ist mir absolut verständlich, dass Sie, einen Abschnitt Ihres Lebens abschließend und einen neuen beginnend, den Wunsch haben, noch klarzustellen, was Ihnen einer Klarstellung bedürftig scheint. Ich habe Ihre analytischen Ausführungen mit großem Interesse gelesen. Aber ich bitte Sie um Entschuldigung, wenn ich nicht nur mit analytischen Überlegungen antworte. Wir haben durch die Analyse eine große Befreiung erlebt, wir können alles mit ihrer Hilfe erklären, wir können und fortgesetzt durch sie freisprechen. Vielleicht ist es daher manchmal gut, ganz bewusst auf diese Hilfe zu verzichten und das Leben wieder einmal so anzuschauen, wie die anderen es sehen. Ein junger Mensch, der einen erfolgreichen Abschnitt seines Lebens beendet, verreist. Um in Ihrem Bilde zu bleiben: auf dem Bahnhof werden sich zum Abschied seine Verwandten, vor allem die Tanten versammeln. Nun fehlt ihm zur Vollständigkeit dieses Abschiedes aber der eine Onkel, der sich immer etwas zurückhaltend verhalten hat. Die Gründe hiefür sind augenblicklich gar nicht interessant. Es ist dem jungen Menschen aber unbedingt darum zu tun, dass auch der Onkel zu guter letzt noch auf dem Bahnhof stehen wird. Ich glaube entnehmen zu dürfen, dass aus diesem Grunde Ihr Brief geschrieben wurde und wie Sie sehen, bin ich auch gekommen. Es erscheint mir nicht so wichtig, dass Sie, lieber Erik, für das, was Sie Ihren ‚Verrat’ nennen, nunmehr die unterirdischen Beweggründe entwickeln können. Denn auch bei Ihrem nächsten eventuellen ‚Verrat’ stehen sie Ihnen genau so gut, genau so bequem zur Verfügung und Sie geben sich selbst damit die Absolution. Da ich nun wirklich als guter Onkel auf den Bahnsteig gekommen bin, will ich Ihnen außer meinen selbstverständlichen guten Wünschen für die Zukunft eines sagen: wenn es möglich ist, erwecken Sie in sich ein Misstrauen gegen sich selbst in einer Hinsicht. Sobald es Sie impulsiv treibt, sich um einen Menschen zu bemühen, Beziehungen herzustellen, - dann werden Sie achtsam und untersuchen Sie vorerst und zwar als Analytiker die Beweggründe. Mit einem Brief, mit einer Unterredung knüpfen Sie Fäden, wecken Sie vielleicht in dem anderen Erwartungen, stellen Bindungen her – und versagen dann. Sie neigen bereits wieder zu anderen Menschen, die Ihnen momentan wichtiger oder nützlicher wurden. Jeder Mensch mit ausgeprägtem Narzissmus bedarf dieses Misstrauens gegen sich selbst, er muss die Frage stellen: Was will ich von dem anderen eigentlich? Nur eine narzisstische Befriedigung? Ist es die Anknüpfung einer wirklichen Beziehung? Nur dieses Misstrauen kann Sie dazu bringen, dass Sie dann schon vorher die Situation des anderen überlegen, vorsichtiger werden und nicht mehr notwendig haben, den anderen zu „verraten“. Nehmen Sie das als meinen besten Wunsch zu Ihrem Abschied.“[2]

Darauf antwortete ihm Erikson: „Lieber Herr Vorstand, vor der Abreise möchte ich Ihnen noch für Ihren Ratschlag danken, den ich gern und ganz akzeptiere. Dass er schwer zu befolgen ist, wissen Sie selbst. Nicht so gern möchte ich die Art einstecken, mit der Sie mir scheinbar ‚unanalytisch’ kommen wollen, obwohl ich Ihnen geschrieben habe, dass ich sonst nicht solche Briefe schreibe wie den an Sie. In Wirklichkeit analysieren Sie ja weiter, setzen nur meinen analytischen Eifer in dieser Sache herunter. Nur Eines war noch unnötiger, nämlich mein Brief. Wenn Sie sagen wollten, haben Sie leider recht. Im Übrigen immer Ihr Erik Homburger“[3] (vgl. Friedman 1999, S. 97ff). 

 

[1] E. H. Erikson an A. Aichhorn, Brief vom  7. 9.19 33. Original: NAA.

[2] A. Aichhorn an E. H. Erikson, Brief vom 17. 9. 1933. Kopie: NAA.

[3] E. H. Erikson an A. Aichhorn, Brief vom 29. 9. 1933. Original: NAA.
 

Thomas Aichhorn

Gentzgasse 125/13

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