Robert Hans Jokl (USA), 17. 2. 1949: Brief / Letter an / to August Aichhorn (Wien/Vienna)
„Wir müssen uns wohl damit abfinden, daß Amerika dazu ausersehen ist, jene Saat zu ernten, die in Wien gestreut wurde. Und nicht nur ausersehen, sondern auch befähigt dazu, eben jener Punkt, in dem nicht wir Wien, sondern Wien uns verlassen hat. Aus der Perspektive eines Getriebes und einer Organisation aus gesehen wie der, der ich jetzt angehöre, erscheint es rätselhaft, mit welchen Mitteln in Wien ein Neuaufbau unserer Wissenschaft betrieben werden sollte, solange die primitivsten Voraussetzungen dazu fehlen. Nicht dass wir, Sie, Dr. Fleischmann und ich, dazu nicht den Mut und die Eignung aufgebracht hätten, aber was uns fehlt, ist jede aktive Hilfe von außen, die Interessen sind, wo sie nicht gespalten sind, lau und zweideutig, sowohl von Seiten der Maßgebenden als des Publikums. Hier liegt die Sache so, das wir nicht nur die volle und uneingeschränkte Unterstützung des Staates und der Hochschulen genießen, mit denen wir als Gleichgestellte zusammenarbeiten, sondern dass jeder „training analyst“ sich seiner Aufgabe voll widmen kann, weil er so bezahlt und pekuniär und moralisch so gestellt ist, dass er keinerlei Sorgen zu haben braucht, ein Zustand, den wir in Europa seit mehr als einem Jahrzehnt vermisst haben (…).
Wir drei hätten, um „auch“ leben zu können, im Laufe von Jahren bestenfalls 6 Kandidaten heranziehen können und es ist leicht zu errechnen, wie lange es gebraucht hätte, bis wir wieder eine Vereinigung mit wissenschaftlichen Sitzungen, einem Ambulatorium und ökonomisch arbeitendem Lehrinstitut gehabt hätten.(…)
Sie erinnern sich, welche wesentlichen Argumente mich von Wien weggetrieben haben. Meine Situation war unmöglich geworden (oder geblieben), weil sich nirgends eine Gelegenheit oder Möglichkeit fand, mir die zum Leben und zur Arbeit notwendigsten Grundbedingungen wiederzugeben. 2 ½ Jahre nach meiner Rückkehr hatte ich keine Wohnung, keinen auskömmlichen Verdienst, (…). Mein Familienleben war erst durch die Kriegszeit, dann durch diese Verhältnisse gestört und erschüttert, es fehlt jede staatliche und jede Berufshilfe, von einer Wiedergutmachung in irgendeiner Form gar nicht zu reden. Man rief uns zwar unter allerhand Vorspiegelungen zurück, aber heimgekehrt scherte sich kein Mensch um einen und hätte man sich nicht selber über Wasser gehalten und uneigennützige Freunde gehabt, hätte man glatt verkommen müssen.“
(Archiv WPV)
“We may have to accept that it is the USA that are destined to reap what was sowed in Vienna. And only destined but also qualified – in this respect Vienna left us rather than we left Vienna. From the perspective of an organisation as the one I now belong to, it is hardly understandable how the reconstruction of our science is to be done in Vienna in a situation where the most basic requirements are missing. Not that you, Dr.Fleischmann and I didn`t have the courage nor qualification to do that, but what we missed was active help from others; the interest in psychoanalysis is at the best half-hearted and ambivalent, both with the authorities and the audience. Where I am now the situation is such that we do not only enjoy full and unlimited support from the authorities and the universities with which we cooperate as equals; moreover, every training analyst finds himself in a position to dedicate himself fully to this function because he is paid accordingly and financially and morally in a position that leaves him free of worries, something we in Europe have been missing for more than a decade. […]
In order to also make a living in Vienna, the three of us could only have trained three candidates at most in the course of years and it is easy to calculate how long it would have taken us to again have a Society with regular scientific meetings, an outpatients` clinic and a self-supporting training institute. […]
You remember which fundamental arguments drove me away from Vienna. My situation had become (or rather: remained) impossible because there was no work to be found to supply me with the necessary means needed to make a living. Two and a half years after my return I had no place to live, no sufficient income. […] My family life was disrupted and shaken first by the war and then, by these conditions as described. There was no support from the authorities, none at all to get started professionally, not to mention reparation. We had been called back under false pretences, but having returned home, no one cared for us and had we not somehow kept our head above water and had we not had generous friends, we would have perished.”
(Translation: Monika Griebel; Vienna Psychoanalytic Society - Archive)
Redaktion: CD, 2008