psynema Oktober 2010-Jänner 2011: Krieg und Frieden (Folge 3)

Krieg und Frieden. Oktober 2010 – Jänner 2011

Wiener psychoanalytische Akademie (WPAk)
Synema - Gesellschaft für Film & Medien

 

Programm

Unter dem Motto Krieg und Frieden ladet die Reihe psynema – Licht in
dunklen Räumen – zu Vorträgen mit Filmvorführungen ein. Die
Referentinnen und Referenten, die einen Film nach eigener Wahl
vorstellen, vertreten sowohl den Bereich der Psychoanalyse als auch
angrenzende Gebiete, insbesondere Film- und Kulturtheorien.
 

Donnerstag, 14. Okt 2010 um 20:15
Michael Loebenstein: 
Goede man, lieve zoon/Good Husband/ Dear Son (NL 2001, 65 min) R: Heddy Honigmann

Donnerstag 11. Nov 2010 um 20:15
Beate Hofstadler: 
Waltz With Bashir, (ISR/F/D 2008, 90 min) R: Ari Folman

Donnerstag 09. Dezember 2010 um 20:15
Elisabeth Streit: 
The Parallax View (USA 1974, 102 min), R: Alan J. Pakula

Donnerstag 13. Jän 2011 um 20:15 
Rainer Gross: 
Behind the sun (BRA/F/CH 2001, 105 min), R: Walter Salles

Donnerstag, 14. Okt 2010 um 20:15: 
Michael Loebenstein: 
Die Präsenz des Abwesenden. Jüngere Kriege und Erinnerungs-arbeit in Goede man, lieve zoon/Good Husband/ Dear Son (NL 2001, 65 min) R: Heddy Honigmann
Wenn der Krieg, wie es auf einer Wiener Konferenz zu den „Kamerakriegen“ des 20. und 21. Jahrhunderts hieß, eine „wandernde Entität“ sei – räumlich entgrenzt, zeitlich unbefristet – dann nimmt es wenig Wunder, dass der europäische Dokumentarfilm ihn bereits seit geraumer Zeit dort festzumachen sucht, wo man ihn am wenigsten zu finden wünscht – in den Köpfen der Überlebenden und der Täter, im Zentrum der Zivilgesellschaft.
Trauma, Trauerarbeit, der „Krieg im Kopf“ (so der deutsche Titel eines anderen Films von Heddy Honigmann) sind wohl zum Standardrepertoire einer Erinnerungskultur geworden, die wie nie zuvor Spuren authentischer Erfahrung aufzuzeichnen und zu bewahren sucht. Zum anderen jedoch sprechen gerade diese Erzählungen von der machtvollen Inkongruenz zwischen entrückter Erfahrung und ihrer Repräsentation in den Vergegenwärtigungs-Maschinen des Kinos und des Fernsehens.
Der Vortrag stellt, am Beispiel von Honigmanns Porträt eines bosnischen Dorfes, Formen eines filmischen Umgangs mit Kriegstraumata vor, deren Ursprung in der dokumentarischen Erfahrung mit der Shoa liegt. Als Epilog wird Honigmanns Film ein Stück anonymes Amateurfilmmaterial aus dem Russlandfeldzug 1941 gegenübergestellt.

Donnerstag 11. Nov 2010 um 20:15: 
Beate Hofstadler: 
„Die Vergangenheit ändert sich ständig.“

Vals Im Bashir/Waltz With Bashir, (ISR/F/D 2008, 90 min) R: Ari Folman; Drehbuch: Ari Folman; Cut: Nili Feller; Musik: Max Richter
Waltz with Bashir gilt als erste Doku-Animation in Spielfilmlänge. Ari Folman macht sich auf Spurensuche. 1982 kamen Bachir Gemayel und weitere 25 Militärs bei einem Bombenanschlag ums Leben. Das Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila wurde von christlichen Phalangisten verübt und galt als Vergeltungsanschlag im Libanonkrieg 1981/82. Ari Folman war damals 19-jähriger israelischer Soldat. Aber wo war er bei diesem Massaker? ‚Wie kann es sein, dass ich an einem Massaker beteiligt war, aber mich nicht daran erinnern kann?’ Diese Frage leitet Folman durch seine vierjährige Rechere, die dem Animationsfilm vorausgeht. Erlebnis und Erinnerung so sagt uns die Psychoanalyse sind nicht ident. Die Erinnerung ist selten ein Abbild damaliger Ereignisse. Insofern ist die Zukunft ungewiss, aber die Vergangenheit ändert sich ständig (Gabriele Rosenthal). Wie werden erlebte und erzählte Lebensgeschichte psychisch übereingestimmt? Ist die „biographische Wahrheit“ überhaupt zu haben? Welche Funktion übernimmt die moralische Entrüstung, dieses >Wie konntet ihr nur?< in diesem Erinnerungs- und Rezeptionsprozess?

Donnerstag 09. Dezember 2010 um 20:15: 
Elisabeth Streit:
The Parallax View (USA 1974) 
Regie: Alan J. Pakula;

Drehbuch: David Giler, Lorenzo Semple Jr. Kamera: Gordon Willis; Musik: Michael Small; Darsteller: Warren Beatty, Hume Cronyn, Paula Prentiss, William Daniels. 102 min
Aufblende: Eine buntgemischte Parade am amerikanischen Unabhängigkeitstag, ein Totempfahl, danach der Blick auf die Space-Needle in Seattle. Ein Senator händeschüttelnd im Wahlkampf. In der Eröffnungssequenz von Pakulas Film The Parallax View wird genau das sichtbar, um was es in den nächsten 100 min gehen soll. Palimpsestartig überlagerte Bilder, das Schürfen in der unmittelbaren amerikanischen Geschichte, die Suche nach der Wahrheit. Wenige Minuten später wird der Senator mitten in seiner Dankesrede erschossen. Ein paar Jahre später und ein paar tote Augenzeugen des Geschehens mehr, kommt die Fernsehjournalistin Lee Carter (Paula Prentiss) zu ihrem Kollegen Joe Frady (Warren Beatty) um ihm von ihrer Angst und den mysteriösen Todesfällen zu berichten. Frady unterstellt ihr Hysterie und die Bitterkeit einer zerbrochenen Beziehung kommen ebenfalls zur Sprache. „You just don’t care“: der Satz wird zum zentralen Motiv der weiteren Handlung. Frady, der erst durch Lees Tod zum Kümmern gezwungen wird und den dunklen Machenschaften auf den Grund gehen will, verstrickt sich immer tiefer in den Fängen der dubiosen Parallax Coorperation. Spannung, Action und die grandiosen Licht und Schattensetzungen von Gordon Willis Kamera zeugen von den traumatischen Erfahrungen einer Generation/ Gesellschaft in den USA, nach den Kennedy-Attentaten, den schmutzigen Machenschaften rund um Watergate und dem zerbrochenen Traum einer friedensbewegten Zivilgesellschaft.

Donnerstag 13. Jän 2011 um 20:15: 
Rainer Gross: 
Behind the sun (BRA/F/CH 2001, 105 min), R: Walter Salles
Salles transponiert Ismail Kadares Blutrache-Roman Der zerrissene April nach Brasilien, in die glühend heißen „Badlands“:
Eine arme Bauernfamilie unter dem „schicksalhaften“ Gesetz der Rache: Vater, Mutter und zwei Söhne. Der ältere Sohn hat „seinen“ Mord hinter sich – jetzt ist er selbst dem Tod geweiht. Dann aber wird das geschlossene Familien-System erschüttert von außen durch eine Frau – die das Leben beider Brüder verändert… Plötzlich scheint das mörderische „Gesetz der Väter“ nicht mehr die einzige Option.
Salles zeigt zwei konträre „Auflösungen“ der ödipalen Problematik, bebildert den Konflikt zwischen Libido und Todestrieb, zwischen Über-Ich-Loyalität und Autonomie. Das Erscheinen der jungen Frau verändert das Leben beider Brüder, ihre Beziehung zum allmächtigen „Vater/Gesetzgeber“. Neben dem Element der harten „Erde“ macht diese Zirkusartistin die Brüder bekannt mit dem Feuer, der Luft und dem Wasser – mit unabsehbaren Folgen und einem finalen starken „plot twist“.
Ein Film als Ausgangspunkt für Überlegungen zum Wiederholungszwang, zur Stufenfolge der Symbolisierung, zum Gegensatz von Familie und Kultur und vielleicht (pathetisch formuliert): Zum Gegensatz zwischen Schicksal und Freiheit.

 

Wiener psychoanalytische Akademie
A - 1010 Wien, Salzgries 16/3
office@psy-akademie.at
www.psychoanalyse-wien.at
In den Räumen des Wiener Arbeitskreises für Psychoanalyse (S6):
1010, Salzgries 16/3a
www.psychoanalyse.org
Unkostenbeitrag: 8 € bzw 5 € (KandidatInnen, Studierende)
ÖÄK: Diese Veranstaltung ist mit DFP Punkten approbiert

Redaktion CD, 15.46.2013