Protokoll der Zusammenkunft vom 20. März 1938 im kleinen Sitzungssaal der WPV
Protokoll der Zusammenkunft vom 20. März 1938 im kleinen Sitzungssaal der WPV
Vorbemerkung:
Am 15.3.1938, zwei Tage nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich, drang ein SA-Trupp in die Räume des Internationalen Psychoanalytischen Verlags ein und bedrohten den Verlagsleiter Martin Freud und den eben aus London herbeigeeilten Ernest Jones, Präsident der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. Gleichzeitig wurden Freuds Wohnung und Praxis in der Berggasse 19 durchsucht, alle Pässe und 6.000 Schillinge beschlagnahmt.
Besitz und Einrichtung der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (WPV), die erst seit 1937 eigene Räumlichkeiten in der Berggasse 17 zur Verfügung hatten, die auch das Ambulatorium und die Bibliothek beherbergten, wurden beschlagnahmt. Den Mitgliedern war das Betreten der Räume verboten.
Anton Sauerwald wurde vom NS-Regime als Kommissarischer Leiter für die Wiener Psychoanalytische Vereinigung, das Ambulatorium und den Verlag eingesetzt und mit deren Liquidation betraut.
Sauerwald berief am 20.3.1938 eine Vorstandssitzung der WPV ein.
Gleichzeitig wurde die Frage nach der „Arisierung“ der Einrichtungen und ihre Übernahmen durch das Deutsche Institut für Psychologische Forschung und Psychotherapie erwogen.
Protokoll der Zusammenkunf vom 20. März 1938:
Zusammenkunft
im kleinen Sitzungssaal der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung am 20. März 3 Uhr nachmittags.
Es sind erschienen der von der NSDAP eingesetzte Kommissär Herr Dr. Anton Sauerwald,
Herr Dr. Ernest Jones, als Präsident der Int. Psychoanalytischen Vereinigung,
Fräulein Anna Freud, als Vice Präsidentin der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung und als Obmann Stellvertreter der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung,
Herr Dr. Carl Müller-Braunschweig, als Schriftführer der Deutschen Psa. Gesellschaft und als Mitglied des Verwaltungsrat des Deutsches Institutes für Psychologische Forschung und Psychotherapie, Berlin, in beratender Funktion zu seiner Unterstützung von Herrn Dr. C. Müller-Braunschweig
Herr Augsut Beranke, Berlin,
von der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung der Obmann Stellvertreter, Herr Dr. Paul Federn,
als Mitglied des Vorstandes Dr. Eduard Hitschmann, Dr. Edw. Bibring, Dr. H. Hartmann, Dr. E. Kris, Dr. Robert Wälder, Dr. W. Hoffer, vom Internationalen Psychoanalytischen Verlag Frau Herta Steiner, Herr Dr. Martin J. Freud.
Nach längerer Beratung einigten sich die versammelten Vorstandsmitglieder der internationalen Psychoanalytischen Vereinigung auf folgenden Vorschlag:
Der Obmann der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung Herr Prof. Dr. Sigmund Freud möge Herrn Dr. Carl Müller-Braunschweig als Vertreter der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft ersuchen, dass diese Gesellschaft als Treuhänderin die Rechte und Pflichten der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung und gleichzeitig auch das Vermögen übernehmen möge.
Herr Prof. Dr. Sigmund Freud nimmt diesen Vorschlag an. Herr Dr. Müller-Braunschweig erklärt nach interurban telephonischer Rücksprache mit Herrn Prof. Dr. Goering, dass die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft bereit sei, die Treuhänderrolle zu übernehmen.
Die im Protokoll genannten Mitglieder und Vorstandsmitglieder der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung nehmen den Sachverhalt zustimmend zur Kenntnis.
Wien, am 20. März 1938
Ernest Jones
Sauerwald
Marie Prinzessin von Griechenland
August Beranek
Anna Freud
Dr. Paul Federn
Herta Steiner
Dr. Eduard Hitschmann
Dr. Martin Freud
Wälder
Heinz Hartmann
Müller-Braunschweig
Dr. Ernst Kris
Dr. Wilhelm Hoffer
Dr. Edward Bibring
Redaktion: CD, 17.11.2013