Sigmund Freud zu einer psychoanalytische Hochschule

Sigmund Freud (1926e): Die Frage der Laienanalyse. Unterredungen mit einem Unparteiischen.

„ Wenn man, was heute noch phantastisch klingen mag, eine psychoanalytische Hochschule zu gründen hätte, so müsste an dieser vieles gelehrt werden, was auch die medizinische Fakultät lehrt: neben der Tiefenpsychologie, die immer das Hauptstück bleiben würde, eine Einführung in die Biologie, in möglichst großem Umfang die Kunde vom Sexualleben, eine Bekanntheit mit den Krankheitsbildern der Psychiatrie. Andererseits würde der Unterricht auch Fächer umfassen, die dem Arzt fern liegen und mit denen er in seiner Tätigkeit nicht zusammenkommt: Kulturgeschichte, Mythologie, Religionspsychologie und Literaturwissenschaft. Ohne eine gute Orientierung auf diesen Gebieten steht der Analytiker einem großen Teil seines Materials verständnislos gegenüber.“ (GW XIV, 281)

„Wir halten es nämlich gar nicht für wünschenswert, dass die Psychoanalyse von der Medizin verschluckt werde und dann ihre endgiltige Ablagerung im Lehrbuch der Psychiatrie finde, im Kapitel Therapie, neben Verfahren wie hypnotische Suggestion, Autosuggestion, Persuasion, die, aus unserer Unwissenheit geschöpft, ihre kurzlebigen Wirkungen der Trägheit und Feigheit der Menschenmassen danken. Sie verdient ein besseres Schicksal und wird es hoffentlich haben. Als „Tiefenpsychologie“, Lehre vom seelisch Unbewussten, kann sie all den Wissenschaften unentbehrlich werden, die sich mit der Entstehungsgeschichte der menschlichen Kultur  und ihren großen Institutionen wie Kunst, Religion und Gesellschaftsordnung beschäftigen. Ich meine sie hat den Wissenschaften schon bis jetzt ansehnliche Hilfe zur Lösung ihrer Probleme geleistet, aber dies sind nur kleine Beiträge im Vergleich zu dem, was sich erreichen ließe, wenn Kulturhistoriker, Religionspsychologen, Sprachforscher usw. sich dazu verstehen werden, das ihnen zur Verfügung gestellte neue Forschungsmittel selbst zu handhaben. Der Gebrauch der Analyse zur Therapie der Neurosen ist nur eine ihrer Anwendungen; vielleicht wird die Zukunft zeigen, dass sie nicht die wichtigste ist.“ (GW XIV, 283)
  

Sigmund Freud (1927a): Nachwort zur „Frage der Laienanalyse“

„Der Unterrichtsplan für den Analytiker ist erst zu schaffen, er muss geisteswissenschaftlichen Stoff, psychologischen, kulturhistorischen, soziologischen ebenso umfassen, wie anatomischen, biologischen und entwicklungsgeschichtlichen. Es gibt dabei soviel zu lehren, dass man gerechtfertigt ist, aus dem Unterricht wegzulassen, was keine direkt Beziehung zur analytischen Tätigkeit hat und nur indirekt wie jedes andere Studium zur Schulung des Intellekts und der sinnlichen Beobachtung beitragen kann. Es ist bequem, gegen diesen Vorschlag einzuwenden, solche analytischen Hochschulen gäbe es nicht, das sei eine Idealforderung. Jawohl, ein Ideal, aber eines, das realisiert werden kann und realisiert werden muss. Unsere Lehrinstitute sind bei all ihrer jugendlichen Unzulänglichkeit doch bereits der Beginn einer solchen Realisierung.“ (GW XIV, 288 f)

Freud, Sigmund (1925c): On the Occasion of the Opening of the Hebrew University.

SE, 19, 292; GW 14. 556f
[This was originally published, along with similar messages from other well-known people, in the fortnightly periodical The New Judaea, 1 (14), 227, on March 27, 1925. Reprinted G.S. 2,   (1928), 298-9, and G.W., 14 (1948), 556-7. No German text is extant, and the original English is therefore reprinted here without alteration, except for a change in the title, which in the earlier versions read ‘To the Opening of the Hebrew University’.—The University was inaugurated by Lord Balfour in April, 1925.]

„Historians have told us that our small nation withstood the destruction of its independence as a State only because it began to transfer in its estimation of values the highest rank to its spiritual possessions, to its religion and its literature.
We are now living in a time when this people has a prospect of again winning the land of its fathers with the help of a Power that dominates the world, and it celebrates the occasion by the foundation of a University in its ancient capital city.
A University is a place in which knowledge is taught above all differences of religions and of nations, where investigation is carried on, which is to show mankind how far they understand the world around them and how far they can control it.
Such an undertaking is a noble witness to the development to which our people has forced its way in two thousand years of unhappy fortune.
I find it painful that my ill-health prevents me from being present at the opening festivities of the Jewish University in Jerusalem.“

Redaktion: CD, 9.6.2012