Helene Deutsch - Psychologie der Frau. Zusammenfassung Sabine Zaufarek

Vorpubertät
„Vorrevolutionäres Stadium“: Die Kräfte, die zur Triebbewältigung während der Pubertät verwendet werden, werden gerade in der triebfreiesten Periode, d. h. in der Vorpubertät vorbereitet.
Sie schrieb schon 1925, dass dem Passivschub ein Aktivitätsschub voran geht. Dieser Aktivitätsschub ist charakteristisch für die Vorpubertät. Er ist nicht eine Verstärkung der Aggression, sondern eine Folge der Ichentwicklung, eine Äußerung des intensiven Dranges, sich der Realität anzupassen und die Umwelt zu bewältigen.
In der Vorpubertät führt das Mädchen einen Kampf um Anerkennung ihres Erwachsenseins, wobei die beste Waffe die Realitätsanpassung ist.
Frühere Identifizierungen müssen aufgegeben werden, neue werden gebildet, neue Identifizierungsobjekte gesucht.

Frühpubertät
Die Tatsache, dass der jugendliche Mensch sich so unsicher fühlt, stärkt sein Bemühen, diese Unsicherheit aktiv zu meistern. Ein Versuch wird unternommen, zwischen den Polen gesteigerten Selbstbewusstseins einerseits und dem Gefühl der eigenen Schwäche andererseits eine Brücke zu bauen. Die zahlreichen Nachahmungsversuche wie Identifikationen, Entwertungen und Umwertungen dienen diesem Zweck.
Es entsteht eine Dreieckssituation, die eine Entwicklungsphase darstellt, die Deutsch bisexuell nennt; in dieser schwankt das junge Mädchen noch zwischen dem homosexuellen und heterosexuellen Objekt, um sich erst allmählich der Heterosexualität zuzuwenden.

Pubertät und Adoleszenz
Das Ich steht vor der Erreichung der Selbständigkeit und das Gefühlsleben vor der Aufgabe, dass alte emotionale Bindungen endgültig aufzulockern und neue zu schaffen. Die Entwertung dient der Befreiung der früheren Objekte und dies ohne Rücksicht auf die bisherigen Beziehungen.
Dieser Mechanismus der Entwertung dient nicht nur dazu, um sich von früher geliebten Objekten leichter loszulösen, sondern auch, um den neu entstandenen aggressiven Hasstendenzen ein rationales Motiv zu geben.
Es ist nicht zu bezweifeln, dass der wachsende sexuelle Trieb in der Adoleszenz Angst provoziert und Abwehrkräfte weckt, die so manchen wichtigen Beitrag zu dem psychologischen Bild dieses Abschnittes liefern.
Das Anwachsen der narzisstischen Kräfte im Ich spielt im Reifungsprozess eine wichtige Rolle. Erstens hat der Narzissmus eine Art einigende Kraft, die eine Sicherung gegen das Zerfließen der Persönlichkeit als Folge der zu zahlreichen Identifizierungen gibt. Zweitens hebt er das Selbstbewusstsein, stärkt so das jugendliche Ich und leistet somit Positives im Reifeprozess.
Allmählich überdecken die Liebesphantasien die narzisstische Selbstzufriedenheit und es kommt zu inneren Spannungen.
Es stoßen zwei Welten aufeinander, die eine gehört der Zukunft an, die andere der Vergangenheit und die Gegenwart dient dem Kampf des Adoleszenten Menschen um die harmonische Zusammenfügung dieser beiden Lebensperioden: Kindheit und die Zeit des Erwachsenseins.
Die Aufgabe, die die Adoleszente zu bewältigen hat, besteht vor allem darin, aus der Phase des gesteigerten Narzissmus zu Objektbeziehungen zu gelangen und in ihnen eine günstige Verbindung der zärtlichen und sexuellen Strömungen zu erreichen.
Spezifische weibliche Eigenschaften sind: große Identifizierungsbereitschaft, starke Phantasietätigkeit, Subjektivität, innere Wahrnehmung, Intuition.
Die bewusste Wahrnehmung des direkten Triebanspruches wird länger und viel erfolgreicher als bei den Burschen abgewehrt. Dieser Anspruch verrät sich in einer gesteigerten Liebessehnsucht und in erotischer Anregung der Phantasie.
Sie stellen einen Sublimierungsvorgang dar und dienen gleichzeitig als Abwehrmechanismus gegen das direkte, sexuelle und triebhafte Verlangen.

Menstruation
Das „Unwissen“ über die Menstruation ist meist Ergebnis der Verdrängung, selten von Vernachlässigung der Umgebung. Bei den „Überraschten“ gab es früher die wildesten und erotischsten Vorstellungen über die zu erwarteten Körpervorgänge. Aus Angst und Schuldgefühl wurden die irrationalen Vorstellungen, mit ihnen jedoch die rationalen, verdrängt und vergessen.
Die Menstruation als Ausdruck der Reifte bringt keine als Vorteil erlebte Änderung. Im Gegenteil, die Aggression kommt in einen stärkeren Konflikt mit den eigenen Schuldgefühl und die gesteigerte sexuelle Welle bringt nur eine Intensivierung der Kämpfe gegen die Masturbation.
Die psychologischen Begleiterscheinungen der Dysmenorrhoe sind Geburtsphantasien. Die starken krampfartigen Schmerzen ähneln sehr den Geburtswehen und die oft begleitenden Übelkeit und das Erbrechen steigern die assoziative Verbindung mit den Fortpflanzungsvorgängen.

Erotik
Die Sehnsucht nach der Erfüllung, die sinnliche Phantasie kann für die Erotik manchmal befriedigender und beglückender sein als die Realisierung.
Die Fähigkeit, die erotische Sehnsucht allmählich so zu gestalten, dass sie das Sexuelle als unmittelbares Erlebnis nicht verleugnet bzw. nicht unter zu strenge Bedingungen stellt, ist eines der Ziele der erwachsenen, sexuell gereiften Frau.
Die sexuelle Hemmung kann durch Narzissmus, Masochismus, Bindung an frühere Objekte und Mütterlichkeit verstärkt werden und jede dieser vier Faktoren kann, wenn er im hohen Grad vorhanden ist, zur Frigidität führen.

Die weibliche Passivität
Unter der „Klitorisphase“ versteht man die mit dem Penis identische embryologische Entwicklung. Den anatomischen Bau, ihre Schwellkörperbeschaffenheit und ihre Innervation machen die Klitoris zu einem Organ, das mit dem Penis verglichen werden kann. Als Exekutivorgang für die sexuelle Erregung ist es sehr reduziert.
Das „genitale Trauma“ folgt einer bestimmten Reihung: gesteigerte Triebansprüche, aktiver Drang derselben, Insuffizienz der Klitoris, Wendung zur Passivität.

Der weibliche Masochismus
Der weibliche Masochismus ist das Produkt einer konstitutionell vorbestimmten Wendung der aktiv-aggressiven Strebungen von der Außenwelt gegen das eigene Ich.
Der masochistische Anteil in der Beziehung zum Vater wird in den aktiven Spielen mit ihm deutlich, die später immer mehr einen erotischen Charakter annehmen.
Die Einsicht in das Phantasieleben des Mädchens in der Pubertät macht uns mit dem masochistischen Inhalt bekannt. Diese Phantasien tragen den Charakter der Vergewaltigung, sie bleiben oft unbewusst und verraten sich in den Träumen, manchmal in Symptomen, oft begleiten sie masturbatorische Aktionen.
Der Masochismus spielt in der weiblichen Sexual- und Fortpflanzungsfunktion eine Doppelrolle: einerseits hilft er bei der Realitätsanpassung durch die notwendige Unlustbejahung; andererseits wird jedoch ein Zuviel selbstverständlich eine Abwehr provozieren, und auf der Flucht vor den Gefahren vor dem zu starken Masochismus wird sich die Frau von ihren Aufgaben, von ihrer Weiblichkeit wegwenden.

Aktivität der Frau – Männlichkeitskomplex
Der „weibliche Kern“ ist ein Produkt von Hemmungen, der sich eine ganze Reihe ungehemmte und aggressive Tendenzen dazugesellen.
Der Männlichkeitskonflikt zeichnet sich durch das Überwiegen aktiver und passiver Tendenzen aus, die zu einem Konflikt mit der Umwelt und vor allem mit der eigenen weiblichen Innenwelt führen.
Eine Phantasievorstellung der Pubertät ist die parthenogenetische Phantasie, die lautet:“ Ich besitze eine Kind von mir selbst, ich bin ihm Mutter und Vater. Ich brauche und will keinen Mann zur Zeugung dieses Kindes.“
Es wird in der Phantasie nicht nur die mütterliche Sehnsucht nach einem Kind erfüllt, sondern auch der Wunsch, ihren „organischen Mangel“ durch eine positive Leistung des Körpers wettzumachen, wobei die Rolle des Mannes zur Bedeutungslosigkeit herabgesetzt wird.
Auch bei der gesunden Frau schafft das „Organtrauma“ eine Disposition für Schwierigkeiten in der Außenwelt, bei jedem schwer zu bewältigenden äußeren und inneren Konflikt, wenn regressive Tendenzen mobilisiert werden, meldet sich die alte traumatische Situation wieder, in der für ihre Erregung keine Abfuhrmöglichkeit bestanden hat. Sie wird einerseits mit Angst und Hilflosigkeit, andererseits mit einer Steigerung aggressiver Impulse reagieren und so deutlich die Überreste des Penisneides zeigen.

Weibliche Homosexualität
Es gibt zwei große Gruppen: Frauen, deren Gesamtpersönlichkeit männliche Züge zeigt, nicht nur in Bezug auf die Objektwahl, sondern auch in der ganzen Einstellung zum Leben - und Frauen, die gar keine körperlichen Anzeichen von Virilität aufweisen und anatomisch und physiologisch vollkommen weiblich sind.
Handelt es sich um die Gutmachung des Genitaltraumas und um die Erfüllung des Peniswunsches, dann entwickelt sich eine phallische Aktivität, und die homosexuelle Beziehung hat männlichen Charakter. Die Bevorzugung der Mundzone in den sexuellen Aktionen der homosexuellen Frauen hängt mit der infantilen Mutter-Kind-Beziehung zusammen.

Mutterschaft – Mütterlichkeit
Die Mutterschaft bezieht sich auf die soziologische, physiologische und emotionale Ganzheit des Verhältnisses der Mutter zum Kind: Schwangerschaft, Gebären, Nähren und die Pflege des Kindes.
Unter Mütterlichkeit versteht Helene Deutsch als erstes eine bestimmte Charaktereigenschaft, die der ganzen Persönlichkeit der Frau ihren Stempel aufdrückt und zweitens Gefühlserscheinungen von einer Art, die der Unbeholfenheit und Bedürftigkeit des Kindes gelten. Begriffe wie „mütterlicher Instinkt“ und die „mütterliche Liebe“ sind darin enthalten.

Die Vorphasen der Mutterschaft
Der erste vorbereitende Akt zur Mutterschaft, der Koitus, steht durch die saugenden Bewegungen der Vagina in voller funktioneller Analogie zur Saugtätigkeit des Säuglings, die Aufnahmebereitschaft der Vagina in Analogie zur rezeptiven Funktion des Mundes.
Unzählige Geburtstheorien werden in den Phantasien der kleinen Mädchen geschmiedet: die Konzeption erfolgt meist durch den Mund, die Geburt durch den Anus, Nabel oder Brust. Die Größe des in den Körper eindringenden Penis und des Herauszubeförderndes „Kindes“ wird mit der Kleinheit der eigenen Körperöffnungen verglichen und manche Schreckenserzeugenden Vorstellungen können bis in das Erwachsenenalter im unbewussten konserviert bleiben.

Psychologie des Sexualaktes
An der Schwelle des ersten vollweiblichen Sexualgenusses steht eine schmerzhafte Körperverletzung. Das Zerreißen des Hymens und die gewaltsame Dehnung und Streckung der Vagina durch den Penis. Diese Verletzung ist an und für sich bei keiner normalen Frau mit dem Sexualgenuss identisch; es ist ein Schmerz, der sich sekundär mit Lustsensationen verbindet und diese Verbindung verleiht erst dem Erlebnis einen masochistischen Lustcharakter. Die lokalisierten Kontraktionen erfolgen rhythmisch und passen sich vollkommen dem Rhythmus des Mannes an. Die körperlich sich ausdrückende Anpassungsbereitschaft ist eines der wichtigsten Elemente des normalen Orgasmus. Das Genitaltrauma kann weitgehend wieder gut gemacht werden, denn in den körperlichen Situationen des Sexualaktes wird jene Entwicklungsphase der Frau, in der sie mit ihrer Benachteiligung „kein Penis und keine Vagina“ konfrontiert wurde, real widerrufen; sie hat jetzt beides, der Penis wird ihr zugeführt und die Vagina als funktionierendes Organ entdeckt.

Probleme der Konzeption
Die Frau verbindet die Erwartung der sexuellen Lust mit dem viel mächtigeren Wunsch nach einem Kind und der Verlustentdeckung und Bestrafungsangst wird der Vorstellung des Kindes zugetragen.

Gründe für die Sterilität:
Sie ist eine körperlich und seelisch infantile Frau, die physiologisch normal funktionierende Fortpflanzungsorgane hat, ist sehr anlehnungsbedürftig und obwohl sie meist vaginal frigid ist, freut sie der Sexualverkehr. In der Pubertät kommt es zu körperlichen Symptomen, die als typische Manifestationen der Schwangerschaftsphantasien“ zu betrachten sind: Erbrechen, Schmerzhaftigkeit mit Verschiebungen von Organen, Anorexia Nervosa.
Sie ist mit allen Qualitäten der Mutterschaft ausgestattet. Sie braucht diese in der Liebe zum Mann, durch die Intuition fühlt sie, dass er das Kind nicht will und nicht wollen kann.

Sie ist durch andere Interessen von der Mutterschaft abgelenkt:
a) Die femine Frau, die sich von der Konkurrenz der Mutterschaft fürchtet ihr warmes, reiches erotische Leben zu verlieren,
b) sie widmet ihr Leben einer Ideologie oder sonst einem tief emotionell bedingten Interesse,
c) die männlich-aggressive Frau,
d) die affektiv-gestärkte Frau, die eine innere Angst vor der emotionalen Neubelastung hat.

Psychologie der Schwangerschaft
Die psychologischen Vorgänge der Schwangerschaft spielen sich in der Biologie, der psychologischen Innenwelt und der Realwelt ab.
Gesellt sich zu den unbewußen oralen Ausstoßungstendenzen ein bewusster Gegenwunsch, das Kind zu behalten, dann entwickelt sich ein innerer Kampf, der den psychosomatischen Vorgang in ein neurotisches, meist hysterisches Symptom verwandelt.
In dem Erbrechen der Schwangeren ist jedoch immer ein starkes, aktuelles, affektives Motiv da, welches die angstvolle negative Beziehung zum Kind und mit ihr die Symptome provoziert.
Durch die Schwangerschaft entsteht eine Einheit, eine Erfüllung der ewigen Sehnsucht nach einer Identität zwischen Ich und Nicht-Ich, als Ausdruck jenes Tiefvergrabenen Urstrebens, den zustand, den man einst genossen hat, wieder zu erreichen, eine Wiederholung des Traumes, der einmal im Mutterleib erfüllt war.
Die psychische Hygiene der Schwangerschaft muss darauf gerichtet sein, dass das Kind mehr und mehr zum Objekt wird, so dass die Entbindung nicht als eine schmerzhafte Trennung von einem Teil des Ichs und als ein zerstörender Verlust im Seelenleben wirkt.

Psychologie des Entbindungsaktes
In den letzten Wochen setzt der Kampf zwischen dem Behaltenwollen und dem Ausstoßen, Loswerden ein und spielt sich normalerweise intrapsychisch ab. Durch die während der Schwangerschaft erfolgte Identifizierung mit dem Kind lautet die Trennungsangst nicht nur „ich verliere das Kind“, sondern auch „das Kind verliert mich“.

Wochenbett – Laktation
Trotz der Freude am Kind ist die Einstellung der Frau noch sehr narzisstisch. Die Welt ist noch eine zeitlang mit dem eigenen Ich identisch, die Mutter selbst fühlt sich als Zentrum der liebevollen Aufmerksamkeit, das Kind wird vor allem als ihr Produkt, ihre Leistung betrachtet. Die Objektbeziehung zu ihm setzt sich erst allmählich durch.
Das Wesentlich an der Mutterliebe ist, dass sie nichts fordert, dass sie keine Schranken und Reserven aufstellt. Für das Kind ist die Mutter eine Quelle zur Befriedigung aller seiner Bedürfnisse, eine Wesen, bei dem es keine anderen Interessen außerhalb ihm anzunehmen vermag.
Die psychologische Anpassungsscheibe an das Kind kann man beim normalen Verlauf in drei Perioden einteilen: erstens Aufenthalt im Krankenhaus, zweitens erste Zeit nach der Rückkehr ins Heim und drittens die mit Beendigung des Wochenbettes wiedergewonnene Bewegungsfreiheit.

Beziehungen zwischen Mutter und Kind
Die nächsten Aufgaben der Mutter sind die erzieherischen; zu der körperlichen Fürsorge gesellt sich diejenige um das psychische Wohlergehen des Kindes und um seine möglichst schmerzlose Anpassung an die Realität und an die unausweichlichen Versagungen.
Jetzt soll die Mutter das Kind vor allem Triebbeherrschung lehren und dies gelingt ihr umso besser, je mehr sie mit ihrem eigenen Triebleben zu Recht kommt.

Bibliografie siehe nebenstehende Datei.

Text: Sabine Zaufarek, 2008
Redaktion: CD. 20.6.2010