Karl Landauer - Biografie: Sabine Zaufarek
Bild: Karl Landauer, Gedenktafel am SFI
Karl Landauer wurde am 12. Oktober 1887 in München, als drittes Kind und einziger Sohn jüdischer Eltern geboren. Sein Vater Isidor war genauso wie sein Großvater Bankier, über die Mutter ist fast nichts bekannt, sie war 12 Jahre jünger als ihr Mann. Der Vater litt an einer schweren Krankheit, die als chronische Blinddarmentzündung diagnostiziert wurde und ihn ans Bett fesselte. Es wurde ein Student eingestellt, der mit Karl viel wanderte und die Funktion eines gesunden Vaters übernehmen sollte. Der Vater starb kurz nach der Bar-Mizwa seines Sohnes, der mit 13 Jahren im religiösen Sinne die Rolle des Familienoberhaupts übernhemen musste.
Karl Landauer besuchte das humanistische Gymnasium in München. Seine Interessen galten der Kunstgeschichte, Malerei, Architektur und Anthropologie. Nach der Matura inskribierte Landauer Medizin an der Universität München und spezialisierte sich auf Neurologie. Sein Medizinstudium setzte er in Freiburg und Berlin fort. Nach dem Studium war Karl Landauer Assistent an der Münchner Uniklinik bei Eugen Kraepelin.
1912 kam er nach Wien, ging bei Sigmund Freud in Analyse und hörte seine öffentlichen Samstag-Vorlesungen an der Psychiatrischen Universitätsklinik. Zur gleichen Zeit setzte er seine psychiatrisch-neurologische Ausbildung bei Wagner-Jauregg fort. Im Herbst 1913 wurde er mit nicht einmal 26 Jahren Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung und nahm regelmäßig an den wöchentlichen Mittwochabend-Sitzungen in Sigmund Freuds Praxis teil.
Er hielt Vorträge zum Thema „Zur Psychologie der Schizophrenie“ und „Psychose“. Landauer beschrieb die Schizophrenie als eine Erkrankung des Ichs. Das Ich zieht seine Grenzen aus Mangel an Libido von der Realität zurück und nicht die Libido vom Ich.
Für die Behandlung warnte er in seinen Arbeiten nicht zu aktiv zu sein. Durch seine „Passivität“ wäre es für den Patienten möglich, seine Problematik und seine Konflikte „darzustellen“. Deutungen sollten erst dann gegeben werden, wenn es dem Patienten auch möglich sei, diese zu verstehen und er eine Verbindung zur Realität herstellen könne.
Landauer nahm an der letzten Sitzung der WPV am 3.6.1914 vor Kriegsausbruch teil.
Im selben Jahr schrieb er die 1. psychoanalytische Arbeit mit dem Titel „Spontanheilung einer Katatonie“ in der Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse.
Während des 1. Weltkrieges war er freiwillig beim Militärdienst und wurde Sanitätsoffizier.
1916 arbeitete Landauer nach einer Typhuserkrankung ein Jahr im Militärgefängnis in Heilbronn.
In Heilbronn lernte er auch seine Frau Karoline (Lins) Kahn kennen. Sie heirateten 1917 und im selben Jahr wurde die älteste Tochter Eva geboren.
Zwei Jahre später übersiedelte er nach Frankfurt/Main und setzte seine psychiatrische Ausbildung an der Universitäts-Nervenklinik in Frankfurt fort. Landauer ließ sich als Psychoanalytiker nieder, sein Interesse galt vor allem den psychotischen Erkrankungen.
1923 wurde die 2. Tochter Suse und drei Jahre darauf sein Sohn Paul Joachim geboren.
Jährlich fuhren die Landauers nach Wien zu Freud, mit der sie eine persönliche und familiäre Freundschaft verband. Seine Frau wurde zu den Treffen der älteren Analytiker bei Freud miteingeladen. Sie soll die einzige Frau gewesen sein, die Freuds Aufforderung, Psychoanalytikerin zu werden, mit einem klaren Nein verweigert hatte. In Wien traf er sich auch regelmäßig mit der Familie von Paul Federn.
1924 beschrieb er die „passive Technik“. Er sah in ihr eine Möglichkeit, den erhaltenen Rest der Libido zu nutzen. Er ging von der geringen libidinösen Objektbesetzungen der narzisstisch gestörten Patienten aus und wollte sich zunutze machen, dass bewusst gemachte Strebungen sich erledigen. Er riet nur die aggressiv bezogenen Konflikte zu deuten und die ungedeuteten libidinösen Kräfte sich anreichern zu lassen.
Im selben Jahr organisierte er gemeinsam mit Karl Abraham die 1. Deutsche Zusammenkunft für Psychoanalyse in Würzburg, wo er einen Vortrag über „Äquivalente der Trauer“ hielt und ein Jahr darauf organisierte er mit seiner Frau und der Analytikerin Clara Happel den 9. Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Bad Homburg. Dort hielt er einen Vortrag über „Automatismen, Zwangsneurose und Paranoia“.
Das Frankfurter Psychoanalytische Institut gründete er gemeinsam mit Heinrich Meng, den er im 1. Weltkrieg als benachbarten Regimentsarzt kennen gelernt hatte, mit Frieda Fromm-Reichmann und Erich Fromm am 16.2.1929. Dieses Institut war nicht für die Ausbildung zuständig, sondern nur für die Weitervermittlung von Psychoanalyse. Es gab eine vielbeachtete Vortragsreihe mit Beiträgen von Sandor Radó, Siegfried Bernfeld, Paul Federn und Anna Freud. Es fand ein regelmäßiger Vorlesungs- und Seminarbetrieb statt.
Weiters begann er als Mitarbeiter bei der „Zeitschrift für Psychoanalytische Pädagogik“ und beim „Psychoanalytischen Volksbuch“.
In der Zeitschrift für Sexualwissenschaft und Sexualpolitik schrieb Landauer ein Kapitel „Zur Psychosexuellen Genese der Dummheit“, in dem er feststellte, der Dumme sei auf der Stufe der Autoerotik Stehengebleiben bzw. auf sie regrediert. Bei der psychogenen Dummheit sei das ganze Individuum das Genitale. Die Dummheit sei die hysterische Lösung der Kastration zu entgehen, indem man sie gleichzeitig akzeptiert: Da der Dumme selbst der Phallus ist, braucht er keinen.
Bei der Machtübernahme der NS 1933 wurde die Arbeit am Frankfurter Institut eingestellt.
Er konnte nach Schweden fliehen, wo er einen Schwager hatte. Im Herbst 1933 erhielt er eine Einladung des Holländischen Psychoanalytikers van Ophuijsen und emigrierte mit seiner Familie nach Amsterdam. Dort wurde er zuerst Mitglied der Holländischen Psychoanalytischen Vereinigung. Im November 1933 kam es allerdings zu einer Abspaltung der Vereeniging van Psychoanlaytici in Nederland, deren Mitglied er wurde.
Er arbeitete als Lehranalytiker in Amsterdam und widmete einen Großteil seiner Arbeitszeit den Lehranalysen, die er für Flüchtlinge auch gratis durchführte und der Supervision.
Zu Freuds 80. Geburtstag und 1936 am Marienbader Kongress hielt er Vorträge zur Affektlehre.
Bei der Freud-Feier in Amsterdam hielt er den Festvortrag über Freuds Traumlehre.
Nach dem deutschen Überfall auf Holland im Mai 1940 waren die Fluchtmöglichkeiten nur mehr gering. 1941 kam die Verordnung, dass Juden nicht in „gemischten Vereinigungen“ bleiben dürfen. Daraufhin zeigten die nichtjüdischen Mitglieder Solidarität und die niederländische Vereinigung wurde aufgelöst. Es fanden jedoch nächtliche wissenschaftliche Sitzungen statt. Die Ausbildung der KandidatInnen und die Behandlung von Patienten wurden im Untergrund fortgesetzt. Jüdische Analytiker wurden versteckt. Privat wurde weitergearbeitet, es durften jüdische Analytiker aber keine nichtjüdischen Patienten mehr therapieren. Ab 1942 durften jüdische Ärzte nicht mehr arbeiten.
Nachdem die Wohnung der Familie Landauers in der Nähe des Jüdischen Rates lag, wurden fast jede Nacht Menschen versteckt.
Bei einer Razzia wurden er und seine Frau 1943 verhaftet, kurze Zeit darauf seine drei Kinder. Die beiden jüngeren konnten allerdings untertauchen. Suse verließ hocherhobenen Hauptes die Absperrung und wurde nicht daran gehindert. Paul floh nach Frankreich und wurde Mitglied der Résistance und konnte sich 1944 nach Spanien retten.
Der Rest der Familie wurde im KZ Westerbork inhaftiert. Innerhalb des Lagers existierte eine weitgehende jüdische Selbstverwaltung. Die Familie konnte zusammenbleiben. Es bestand eine Arbeitsverpflichtung. Landauer arbeitete mit seinem früheren Analysanden de Wind in der ärztlichen Ambulanz.
Am 16.2.1944 wurde die Familie ins KZ Bergen-Belsen deportiert Es sollte als „Austauschlager“ dienen d. h. die Insassen sollten Geisel im Austausch gegen Deutsche sein, was aber nur bedingt stattfand. Die Familie war im Austauschlager untergebracht, was aus einer Transportliste aus Westerbork hervorgeht. Es entwickelte sich bald zu einem üblich KZ, und wurde später als „Erholungslager“ deklariert.
Gemeinsam mit seinem Lehranalysanden Jacques Tas versuchte er einen Beratungsdienst aufzubauen, da sich unter den extremen Bedingungen eine Fülle seelischer Störungen bei den Kinder und Jugendlichen zeigten, für die Eltern in dieser Situation kein Verständnis
entwickeln konnten. Auch versuchten beide, die Lehranalyse, auf Stühlen nebeneinander sitzend, fortzusetzen.
Am 27.1.1945 starb Landauer im KZ am Hungertod, 2 ½ Monate vor der Befreiung am 15.4.1945 durch die britische Armee, obwohl seine Tochter für ihn zusätzliches Essen besorgt hatte. Seine Frau und seine Tochter waren bei ihm, als er starb. Er starb im Schlaf. Beide wurden befreit und emigrierten nach New York und fanden auch Paul und Suse wieder. Diese Informationen stammen aus persönlichen Quellen der Familie.
Der Sterbebucheintrag beim Sonderstandesamt in Bad Arolsen aus dem Jahr 1953 enthält keinen Eintrag der Todesursache.
Weitere, auf historischen Quellen basierende Informationen liegen in der Gedenkstätte Bergen-Belsen nicht auf, da es der SS kurz vor der Befreiung dieses Lagers noch gelang, die Lagerregistratur mit den Häftlingsakten zu vernichten.
Bei der Wiederveröffentlichung des „Psychoanalytischen Volksbuches“ (Federn, Meng 1957) gedachte der Herausgeber Landauers lediglich als einen durch den Tod entrissenen Mitarbeiters.
Im 2. Band wurde anstelle seines Exilwohnortes Amsterdam sogar wieder Frankfurt/Main genannt.
Erst durch die Arbeiten über die Geschichte der Psychoanalyse im Nationalsozialismus ( Brainin, Kaminer, 1982; Rothe, 1987) wurde sein Schicksal in seiner ganzen Tragik bekannt.
Aus: „Zur Geschichte der Psychoanalyse in Frankfurt“
„Die Tradition der Psychoanalyse in Frankfurt reicht zurück bis in die Zwanziger Jahre, als nach der „Ersten Deutschen Zusammenkunft für Psychoanalyse“, die 1924 in Würzburg stattfand, in Frankfurt 1926 die Südwestdeutsche Arbeitsgemeinschaft gegründet wurde. Aus dieser Arbeitsgemeinschaft ging 1929 das erste Frankfurter Psychoanalytische Institut hervor. Von Karl Landauer und Heinrich Meng geleitet, erlebte es im Institut für Sozialforschung durch die Unterstützung Max Horkheimers eine kurze wissenschaftlicher Blüte. Zu seinen ständigen Mitarbeitern zählten Frieda Fromm-Reichmann, Erich Fromm und Siegmund Heinrich Fuchs, der sich nach seiner Emigration nach London S.H. Foulkes nannte und als Gründer der Gruppenanalyse bekannt wurde.
Welch hohe Wertschätzung die Psychoanalyse in ihren ersten Jahren in Frankfurt genoß, zeigt die Verleihung des Goethe Preises der Stadt Frankfurt an Sigmund Freud im Jahre 1930.
Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurde das Frankfurter Psychoanalytische Institut 1933 geschlossen, alle fünf in ihm tätigen Analytiker emigrierten. Karl Landauer, der nach Holland geflohen war, wurde dort nach der deutschen Besetzung verhaftet. Er starb im Januar 1945 im KZ Bergen-Belsen an den Folgen der Lagerhaft.“
(Aus: „ Zur Geschichte der Psychoanalyse in Frankfurt“, http://www.fpi.de/geschichte.html, 26. Mai 2010)
Text: Sabine Zaufarek, 2008
Redaktion: CD, 2008, 2010