Fritz Wittels - Biografie: Sabine Götz
Seine Bedeutung:
Fritz Wittels wird von den Herausgebern der „Protokolle der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung“ als „Mann von großer Begabung“ und „fruchtbarer, witziger und talentierter Schriftsteller“ beschrieben (Protokolle 1, XXXVIIIf.). Tatsächlich ist die Fülle seiner Publikationen beeindruckend, er verfasste sowohl psychoanalytische als auch literarische Werke, eine gründliche Aufarbeitung der Bedeutung seiner theoretischen Abhandlungen ist allerdings noch ausständig. Als literarischer Schriftsteller war er wohl nie wirklich erfolgreich, bekannt ist sein Name vor allem im Zusammenhang einer Auseinandersetzung mit Karl Kraus, die bis zu einem Gerichtsprozess führte und auch Wittels’ zeitweiligen Austritt aus der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung begründete, sowie als Autor der ersten (unautorisierten) Sigmund Freud-Biographie, die in ihrer unaufgelösten Ambivalenz der Psychoanalyse und Sigmund Freud gegenüber viele Spannungen erzeugte.
Freud wandte sich nie ganz von ihm ab, zeigte aber Wittels’ Opportunismus gegenüber doch immer eine gewisse Reserve; andererseits schätzte er seinen Einfallsreichtum und seine Bemühungen zur Verbreitung psychoanalytischer Ideen.
Eine ausführliche biographische Arbeit über Fritz Wittels ist noch ein Desiderat der Forschung.
Sein Leben:
Fritz Wittels wird am 14.11.1880 im 2. Wiener Bezirk, Nestroygasse 10, geboren. Seine Eltern sind der Börsenmakler Rubin (Rudolph) Feiwisch Wittels (geb. am 1.1.1849 in Galizien) und Charlotte Fuchs (geb. am 12.11.1852 in Galizien), verheiratet am 13.2.1873. Gemeinsam haben sie 5 Kinder: Toni, Otto, Maximilian, Siegfried (Fritz) und Emerich. 1882 übersiedelt die Familie ins Zentrum der Stadt. Die Mutter stirbt am 11.1.1887 an einer Bauchfellentzündung. Am 11.3.1888 heiratet der Vater Malke Sadger, eine Schwester Isidor Sadgers – aus dieser Ehe entstammen zwei weitere Kinder: Grete und Mitzi.
1904 promoviert Wittels an der Universität Wien zum Doktor der Medizin und arbeitet anschließend vier weitere Jahre als Hospitant, Aspirant und schließlich Sekundararzt im Wiener Allgemeinen Krankenhaus. Er ist zuerst vor allem an der Internen Medizin interessiert bis seine Aufmerksamkeit sich auf die Psychiatrie und Freuds frühe Lehren richtet.
Fast ein Jahr lang studiert er Freuds Schriften, ohne zu wissen, dass er im selben Gebäude lebt, in dem Freud jeden Samstagabend von 19 bis 21 Uhr eine Vorlesung hält. Im Frühjahr 1906 beginnt er Freuds Kurs zu besuchen und lernt ihn auch persönlich kennen.
Ende 1906, nachdem Wittels einige Kurzgeschichten unter dem Einfluss seiner Beschäftigung mit der entstehenden Psychoanalyse verfasst hat, wendet er sich brieflich an Karl Kraus (1874 – 1936) mit dem Wunsch, diese Kurzgeschichten in Kraus’ Zeitschrift „Die Fackel“ zu veröffentlichen. Kraus ist beeindruckt – trotz (oder wegen) des forschen Tons von Wittels’ Brief. Zwischen 5.2.1907 und 22.5.1908 erscheinen 5 Kurzgeschichten und 7 wissenschaftliche Aufsätze in der „Fackel“.
Am 22.2.1907 wird „Das größte Verbrechen des Strafgesetzes“, eine Arbeit über Geburtenkontrolle und das damals geltende Abtreibungsverbot, unter dem Pseudonym „Avicenna“ in der „Fackel“ veröffentlicht. Freud wird auf die Arbeit aufmerksam und lädt Wittels ein, die Abende der Mittwoch-Gesellschaft in seiner Ordination in der Berggasse zu besuchen.
Am 20.3.1907 wird Wittels von seinem Onkel Isidor Sadger zur Aufnahme in die Psychologische Mittwoch-Gesellschaft vorgeschlagen. Am 27.3.1907 wird er mit einstimmigem Beschluss der Anwesenden aufgenommen. Am 10.4.1907 nimmt er erstmals an einer Sitzung teil und hält einen Vortrag über weibliche Attentäterinnen mit dem Titel „Tatjana Leontiew“ (eine russische Revolutionärin). Zwischen 10.4.1907 und 12.1.1910 hält er insgesamt 7 Vorträge in der Mittwoch-Gesellschaft.
Durch die nähere Bekanntschaft und die daraus entstehende Freundschaft mit Karl Kraus wird Wittels, wie er selbst schreibt, in den Strudel von dessen Privatleben hineingezogen. Er verbringt die Nächte mit Karl Kraus in verschiedenen Kaffeehäusern und vernachlässigt seine Arbeit. „Meine Libido war gespalten zwischen Kraus und der Medizin, und leider begann ich meine medizinischen Pflichten zu vernachlässigen.“ (Timms 1996, 70)
Über Kraus lernt Wittels 1907 auch Irma Karczewska (vermutlich 1890-1933) kennen, mit der Kraus bis in die Mitte der 20er Jahre in Kontakt steht und sie auch über diesen Zeitraum hinaus noch finanziell unterstützt. Kraus unterhält eine komplizierte Beziehung zu Irma, die offenbar einerseits daraus besteht, sie sexuell auszunützen und andererseits sie als „Hetäre“, als „nachgeborene Griechin“, zu idealisieren. Kraus selbst wird es bald zuviel, sich alleine um Irma zu kümmern, und er bittet Wittels, sich Irma zu widmen. Es entsteht eine Dreiecksbeziehung, die bei Wittels auch einen literarischen Niederschlag findet: Er veröffentlicht am 15.7.1907 in der „Fackel“ den Artikel „Das Kindweib“, den er unter dem Titel „Die große Hetäre“ bereits am 29.5.1907 in der Mittwoch-Gesellschaft vorgelesen hat. Das Protokoll dieses Vortragsabends ist nicht erhalten; Bemerkungen dazu finden sich aber im Protokoll der Diskussion von Wittels’ Aufsatz „Weibliche Ärzte“ am 15.5.1907. Wittels ist enttäuscht, daß Freud seine Ansichten nicht teilt – Freud ist über den Einfluss von Karl Kraus auf Wittels nicht glücklich.
Am 1.1.1908 eröffnet Wittels eine Privatordination im Zentrum von Wien, Am Graben Nr. 13, im so genannten „Eisgrubelhaus“. Wittels hat kaum Patienten (unter den wenigen ist für kurze Zeit Adolf Loos [1870-1933], den er aber durch Unachtsamkeit und Nachlässigkeit verliert), beginnt aber seine erste Psychoanalyse an einem Patienten, den Freud zu ihm geschickt hat. Die Behandlung dauert zwei Jahre, ist erfolgreich und Wittels berichtet darüber in der Mittwoch-Gesellschaft am 27.10.1909. Freud ist sehr zufrieden mit ihm. Vom 26. bis 27. April 1908 nimmt Wittels am 1. Psychoanalytischen Kongress in Salzburg teil.
Am 20.5.1908 stirbt Wittels’ Vater an Herzschlag.
Allmählich verschlechtert sich das Verhältnis zwischen Wittels und Kraus immer mehr: Kraus schätzt Wittels’ psychoanalytische Artikel nicht mehr und kritisiert, daß Wittels seinen Stil nachahme. Am 22. Mai 1908 erscheint Wittels’ letzter Beitrag in der „Fackel“, die Kurzgeschichte „Gottesurteil“.
Im Herbst 1908 veröffentlicht Wittels zwei Bücher: Unter dem Titel „Alte Liebeshändel“ erscheint Ende Oktober im Verlag der „Fackel“ bei Jahoda & Siegel eine Sammlung der größtenteils in der „Fackel“ veröffentlichten Kurzgeschichten mit folgender Widmung: „An meinen lieben Karl Kraus von 1907“. Das zweite Buch „Die sexuelle Not“ erscheint laut Impressum 1909, ist aber in einigen Exemplaren bereits im November 1908 im Umlauf. Wittels bittet Freud, diesen Essayband, der seine, ebenfalls in der „Fackel“ großteils bereits publizierten wissenschaftlichen Aufsätze enthält, ihm widmen zu dürfen, da er ohne ihn nicht hätte entstehen können. Freud nimmt die Widmung an, macht Wittels aber darauf aufmerksam, daß Kraus darüber nicht erfreut sein würde. Die Widmung lautet: „Meinem Lehrer Professor Dr. Sigmund Freud verehrungsvoll zugeeignet“. Wittels stellt dem Buch folgendes Motto voran: „Die Menschen müssen ihre Sexualität ausleben, sonst verkrüppeln sie“. Dieses Motto gefällt weder Freud noch Kraus: Freud sieht darin das Programm der „Fackel“, unter dessen Einfluss Wittels stehe, und Kraus beanstandet in 84 gegen Wittels gerichteten Aphorismen unter anderem die allzu simple Propaganda für das Ausleben der Sexualität. Dieser Angriff von Kraus auf Wittels in der „Fackel“ erscheint am 30. November 1908 unter dem Titel „Persönliches“, ohne direkte Nennung von Wittels’ Namen. Bereits vorher, Anfang oder Mitte November 1908, hat Wittels allerdings einen Brief an Kraus geschrieben, in dem er sich selbst mit Brutus vergleicht und ihm die Freundschaft aufkündigt.
Vermutlich 1908 oder 1909 (Timms 1996) heiratet Wittels Yerta Pick, die Tochter eines bekannten Prager Psychiaters, die aber bereits 1913 an Leukämie stirbt, nach anderer Quelle bereits ein Jahr nach der Hochzeit (Mühlleitner 1992, 370).
1909 beginnt Wittels mit der Arbeit an dem Schlüsselroman „Ezechiel der Zugereiste“, mit dem er sich an Kraus rächen will. Wie er später in seiner Autobiographie schreibt, gelingt es ihm nicht, seine Rachegelüste genügend zu sublimieren – er schreibt ein schlechtes Buch. Während des Schreibens wird er offenbar immer wieder von seinen höchst zwiespältigen Gefühlen Kraus gegenüber überwältigt, was dazu führt, daß er diesem zwei kurze Briefe mit der Bitte um Versöhnung schreibt. Diese von Kraus als „Liebesbriefe“ bezeichneten Briefe spielen in weiterer Folge in den Auseinandersetzungen sowohl mit Freud als auch mit Kraus eine wichtige Rolle. Kraus erfährt von dem geplanten Buch, versucht die Veröffentlichung zu verhindern und droht, vor Gericht zu gehen.
1910 gibt Wittels seine Praxis am Graben auf und nimmt eine Stelle im privaten Wiener Cottage Sanatorium an, dessen Direktor Rudolf von Urbantschitsch ebenfalls Mitglied der Mittwoch-Gesellschaft ist. Wittels bleibt dort 15 Jahre Stationsarzt, unterbrochen vom Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg.
Im Frühjahr 1910 gibt Wittels Freud, den er in seiner Tätigkeit im Sanatorium fast täglich sieht, weil Freud eine Patientin des Sanatoriums behandelt, das bereits gedruckte Manuskript des Romans auf dessen Wunsch hin zu lesen. Freud ist nach der Lektüre vehement gegen eine Veröffentlichung des Buches und bietet Wittels sogar an, die Kosten des Verlegers zu übernehmen. Daraus wird ersichtlich, wie wichtig es Freud ist, das Erscheinen dieses Buches zu verhindern, und zwar aus mehreren Gründen: persönlich findet er es schrecklich, „wenn zwei ehemalige Freunde einander mit Dreck bewerfen“ (Timms 1996, 120), außerdem würde die öffentliche Auseinandersetzung über Wittels’ „rücksichtsloses Buch“ der psychoanalytischen Bewegung schaden und schließlich – wie für Wittels aber erst in einem späteren Brief von Freud an ihn deutlich wird – habe Wittels nicht das Recht, aufgrund seiner widersprüchlichen Gefühle auch widersprüchlich zu handeln. Freud wurden offenbar die zwei Briefe, die Wittels während der Arbeit am Buch an Kraus geschrieben hatte, gezeigt oder er wurde zumindest von deren Existenz durch Kraus’ Anwalt in Kenntnis gesetzt (siehe Brief von Freud an Wittels vom 24.12.1923, in Timms 1996).
Wittels zögert, stellt die Publikation bis Herbst zurück, Freuds Geduld geht zu Ende, er setzt Wittels unter Druck: „Sie sind für meinen Kreis untragbar, wenn Sie dieses Buch herausbringen.“ Dies wiederum weckt Wittels’ Trotz und er tritt aus der Psychoanalytischen Vereinigung aus. Sein Rücktritt ist am 5. Oktober 1910 in den Protokollen vermerkt, davor war er am 1. Juni 1910 das letzte Mal bei einem Treffen zugegen.
Von November 1910 bis Februar 1911 findet in Berlin ein Prozess statt: Kraus hat zwei Anwälte beauftragt und beschließt mit ihnen, nicht Wittels, sondern den Berliner Verleger zu klagen. Kläger ist nicht Kraus selbst, sondern Irma, damals verheiratete Haselhoff-Lich, gemeinsam mit Ludwig von Janikowski, einem von Kraus’ engsten Freunden, die beide angeben, sich durch den Roman verleumdet zu fühlen. Das Gericht entscheidet zugunsten der Kläger und untersagt den weiteren Verkauf des Romans. In Wien darf das Buch allerdings erscheinen und wird 1911 vom Verlag Huber & Lahme mit einigen Änderungen neu herausgebracht.
1914 wird Wittels zum Kriegsdienst einberufen und ist fast 5 Jahre von Wien abwesend: zuerst an der polnisch-russischen Front, dann hinter der italienischen Front und drei Jahre lang in der Türkei, in Syrien und Palästina. Innerhalb von drei Jahren veröffentlicht er vier Bücher: „Tragische Motive: Das Unbewußte von Held und Heldin“ (Berlin 1911), „Alles um Liebe: eine Urweltdichtung“ (Berlin 1912), „Der Juwelier von Bagdad“ (Berlin 1914) und „Über den Tod und Über den Glauben an Gott: Zwei Vorträge“ (Wien 1914) – welches dem Andenken seiner Frau Yerta gewidmet ist.
1919 kehrt Wittels nach Wien zurück und schließt sich dem „Verein für allgemeine Nährpflicht“ an, einer Organisation, die den Gedanken von Joseph Popper-Lynkeus (den Wittels bereits vor dem Ersten Weltkrieg kennen und schätzen gelernt hat) nahe steht und sich für eine gerechtere Verteilung der Güter einsetzt. Außerdem verfasst er zahlreiche Artikel für die linksgerichtete Zeitung „Der Abend“.
1920 begegnet Wittels zufällig Wilhelm Stekel, den er bereits seit 1906 kennt, auf der Straße wieder und folgt seinem Rat, eine Analyse bei ihm zu absolvieren. Er ist beeindruckt von Stekels Fähigkeiten, beschreibt die Analyse als durchaus erfolgreich, sieht ihn und seine technischen „Eigenheiten“ in der Erinnerung aber auch sehr kritisch. Die Vermutung liegt nahe, daß er sich deshalb von Stekel analysieren läßt, weil er zu stolz ist, um zu Freud zurückzukehren. (Timms 1996, 138ff.).
1920 heiratet Wittels seine zweite Frau Lilly Krishaber; 1922 wird der Sohn Hans Rudolf (John R. Wittels) geboren.
Noch während oder kurz nach Beendigung der Analyse bei Stekel fragt ein Verleger bei Wittels an, ob er bereit sei, einen für Laien verständlichen Überblick über die Psychoanalyse zu schreiben. Wittels vertieft sich daraufhin für ein halbes Jahr in die psychoanalytische Literatur und kommt zu dem Schluss, daß es möglich sei, allein aus dem bereits vorhandenen veröffentlichten Material eine Biografie Freuds und seiner Arbeit zusammenzustellen; Freuds Erlaubnis dafür einzuholen, hält er für nicht notwendig.
Vor Weihnachten 1923 erscheint das Buch „Sigmund Freud. Der Mann, die Lehre, die Schule“, bestehend aus 16 Kapiteln, die sich der Beschreibung der Persönlichkeit Freuds, der Darstellung der Freudschen Lehre und auch den Beziehungen Freuds zu den verschiedenen Personen, die bei seinen Forschungsarbeiten eine Rolle gespielt haben, widmen.
Wittels schickt das Buch, versehen mit einer handschriftlichen Widmung, an Freud, der sich am 18.12.1923 in einem Brief dafür bedankt. Wittels interpretiert diesen Brief Freuds sehr positiv und schreibt in seinen Erinnerungen, dass Freuds erster Eindruck nicht ungünstig gewesen sei (Timms 1996, 146ff.). Freud hat zwar auch freundliche Worte für das Werk – denen Wittels offenbar weitaus größeres Gewicht zumisst – aber er schreibt auch: „Ihre persönliche Distanz von mir, die Sie durchaus als Vorteil einschätzen, hat auch große Nachteile. Sie wissen zu wenig von Ihrem Objekt und können darum auch die Gefahr nicht vermeiden, ihm in ihren analytischen Bemühungen Gewalt anzutun. Es ist auch sehr zu bezweifeln, daß Sie sich die Aufgabe, einen richtigen Ausblick des Objekts zu gewinnen, dadurch erleichtert haben, daß Sie den Standpunkt Stekels einnehmen und mich unter seinem Gesichtswinkel sehen.“ (zit. nach Timms 1996, 147).
Freud macht deutlich, wieviel ihm daran gelegen sei, daß Wittels – falls eine zweite Auflage zu Stande komme – einiges berichtige und legt ihm für diesen Fall eine Liste solcher Berichtigungen bei. Er schließt den Brief mit folgenden Worten: „Sehen Sie in diesen Mitteilungen ein Anzeichen dafür, daß ich Ihre Arbeit, die ich nicht billigen kann, doch keineswegs gering schätze.“ (zit. nach Timms 1996, 148).
Wie sehr sich Freud über das Buch geärgert hat, zeigen die Randbemerkungen an einigen Stellen in Freuds Exemplar, das sich im Freud-Museum in London befindet, besonders Wittels’ positive Bewertung von Stekel (Timms 1996, 207, Anm. 6). Wittels versucht zwischen Freud und Stekel zu vermitteln, bleibt aber erfolglos.
Am 15. August 1924 schreibt Freud an Wittels anlässlich der englischen Ausgabe der Freud-Biographie einen zweiten Brief, der seinen Ärger deutlicher zum Ausdruck bringt: „Sie kennen meine Einstellung zu diesem Werk, sie ist nicht freundlicher geworden. Ich bleibe dabei, daß jemand, der so wenig von einem weiß wie Sie von mir, kein Recht hat, eine Biographie über den Betreffenden zu schreiben. Man wartet, bis er gestorben ist, dann muss er alles über sich ergehen lassen, und es ist ihm zum Glück auch gleichgültig. (Freud, zit. nach Kory 2007, 163).
Im Jahr 1925 beendet Wittels seine Beziehung zu Stekel, über die näheren Hintergründe gibt er in seinen Erinnerungen keine Auskunft. Jedenfalls – und das weiß Wittels – ist diese Trennung die Voraussetzung für eine Wiederannäherung an Freud und die psychoanalytische Vereinigung. Am 4.3.1925 wird Wittels nach 15 Jahren erstmals wieder von Freud zu einem Besuch eingeladen.
Im November 1925 unterstützt Freud Wittels’ Antrag auf Wiedereintritt in die Vereinigung; 1927 wird er erneut in aller Form als Mitglied aufgenommen und in das Propagandakomitee gewählt. Wittels widmet sich der Öffentlichkeitsarbeit für die Psychoanalyse, hält Vorträge in wissenschaftlichen Gesellschaften, publiziert in medizinischen Zeitschriften und veröffentlicht zwischen 1925 und 1928 vier Bücher über die Psychoanalyse: „Die Technik der Psychoanalyse“ (1926), „Die Psychoanalyse: Neue Wege der Seelenkunde“ (1927), „Die Befreiung des Kindes“ (1927) und „Die Welt ohne Zuchthaus“ (1928).
In der Vereinigung, die inzwischen Teil einer weltweiten internationalen Organisation geworden ist, schlägt ihm – besonders von den jüngeren Mitgliedern – einiges Misstrauen entgegen: Das Buch über Freud ist weiterhin Anlass zu Ärger. Wittels selbst scheint die Brisanz dieses Themas immer wieder zu verleugnen und hält daran fest, daß Freud selbst die ganze Angelegenheit nicht so ernst nimmt.
1928 wird Wittels von der New School for Social Research nach New York eingeladen, um Vorlesungen über Psychoanalyse zu halten: Freud rät ihm, das Angebot anzunehmen. Wittels fühlt sich in Amerika von Anfang an sehr wohl, er spricht auch vor der New York Psychoanalytic Society, die Einladung der New School wird verlängert und er wird in den folgenden drei Jahren zu weiteren Gastvorträgen in den Vereinigten Staaten eingeladen.
Ende 1928 wünschen sich amerikanische Verleger eine Neuauflage von Wittels’ Freud-Biographie und stürzen diesen damit wiederum in einen Zwiespalt: Es erscheint ihm unmöglich, das Buch zu verändern, ohne es zu schwächen. Wittels wendet sich am 28.12.1928 an Freud, der ihm am 8.1.1929 – zu Wittels’ Überraschung – in sehr scharfem Ton antwortet. Freud versteht nicht, wieso Wittels nicht dankbar die Gelegenheit ergreift, seine damaligen Fehler zu korrigieren – Wittels ist überrascht, daß Freud die Angelegenheit immer noch nicht vergessen hat, sondern – ganz im Gegenteil – wieder auf die so genannten „Liebesbriefe“ von Wittels an Karl Kraus zu sprechen kommt.
Wittels will lieber ein neues Buch über Freud schreiben (aus dem Gefühl heraus, es sei besser, einige Dinge in Vergessenheit geraten zu lassen) und beschließt, das erste Buch ohne Neuauflage auslaufen zu lassen. Freud ist damit einverstanden; für ihn bleibt es aber insgesamt eine „ganz und gar unerfreuliche“ Angelegenheit. (Timms 1996, 166).
1931 erscheint Wittels’ zweite Freud-Biographie „Freud and His Time“, in der er versucht, die Fehler des ersten Buches wieder gut zu machen bzw. zu vermeiden. Nur die ersten beiden Kapitel beschäftigen sich mit der Persönlichkeit Freuds und dies in sehr respektvoller Weise. Die anderen Kapitel sind der psychoanalytischen Lehre und ihren möglichen Weiterentwicklungen gewidmet. Insgesamt ist das zweite Freud-Buch weniger als Biographie zu sehen, sondern vielmehr als ein Versuch, der Psychoanalyse eine breitere Grundlage zu verschaffen, da Wittels auf ihre unterschiedlichen Anwendungsmöglichkeiten – in Anthropologie, Pädagogik, Kriminologie, Kunst und Soziologie – hinweist. (vgl. Kory 2007, 170ff.).
Im März 1932 übersiedelt Wittels endgültig nach Amerika und wird Mitglied der New York Psychoanalytic Society. Seine Frau und sein Sohn bleiben anfangs teilweise in Österreich, Mitte der Dreißiger Jahre lässt sich jedoch die ganze Familie in den USA nieder; Wittels wird Mitglied der American Psychoanalytic Association und der American Psychiatric Association.
1933, nachdem Wittels sicher ist, sich in Amerika gut etabliert zu haben und von jeder Freud’schen oder anderen Organisation vollkommen unabhängig zu sein (Timms 1996, 166), veröffentlicht er unter dem Titel „Revision of a Biography“ auf Englisch bzw. unter dem Titel „Nachtrag zu meinem Buche ‚Sigmund Freud‘“ auf Deutsch, eine detaillierte Überarbeitung und Korrektur seiner ersten Freud-Biographie. Darin widerruft Wittels seine damaligen Ansichten und Behauptungen sowohl im persönlichen wie auch im wissenschaftlichen Bereich in je 7 Punkten.
Bei der letzten persönlichen Begegnung zwischen Freud und Wittels im Sommer 1934 wird deutlich, daß es Wittels dennoch nicht gelungen ist, Freuds ungetrübte Zuneigung wiederzugewinnen: Freud kann mit Wittels’ Selbstkorrektur nicht zufrieden sein, weil er sich gleichzeitig durch dessen Opportunismus abgestoßen fühlt. Nach 1934 kommt Wittels nicht mehr nach Europa, bleibt aber bis 1936 Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung.
Bis 1938 unterrichtet er an der New School for Social Research in New York, er ist Fellow der New York Academy of Medicine, außerdem wird er Dozent am New York Psychoanalytic Institute und arbeitet auch als Research Fellow am Bellevue Hospital der New York University und als assoziierter Psychoanalytiker an der Columbia University. 1940 wird er eingebürgert und erhält die amerikanische Staatsbürgerschaft.
1940 bis 1941 ist Wittels, gemeinsam mit Lawrence Kubie und einigen anderen älteren Mitgliedern des Lehrausschusses der New York Psychoanalytic Society, in die Kontroversen um Karen Horney (1885-1952) involviert, die daraufhin aus der Society austritt und eine eigene rivalisierende Gruppe gründet: die „Association for the Advancement of Psychoanalysis“.
Wittels’ zweite Ehe wird geschieden. 1947 heiratet er in dritter Ehe seine ehemalige Krankenschwester Poldi Goetz.
Am 16. Oktober 1950 stirbt Wittels in New York.
Sein letztes Buch „The Sex Habits of American Women” wird 1951 posthum veröffentlicht.
Text: Sabine Götz, 2008
Redaktion: CD, 2008; CD, 2010