Editha Sterba - Biografie: Sabine Janda
Editha Sterba, geborene von Radanowicz-Hartmann, stammt aus einer multinationalen Familie mit deutschen, polnischen, kroatischen und englischen Vorfahren. Sie wuchs in einem kulturell geprägten Umfeld auf. Aber erst ihre Arbeit für den Psychoanalytiker Otto Rank weckte ihr Interesse an der Psychoanalyse. Editha Sterba gehörte zu den ersten Kinderanalytikerinnen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. Durch ihre Arbeit trug sie wesentlich zum Verständnis über das Seelenleben von Kindern bei.
Editha Sterba wurde am 8. Mai 1895 in Budapest geboren. Zwei Jahre später kam ihr Bruder Hubert während des Sommerurlaubs der Mutter in Gmunden zur Welt. Ihr Vater, Heinrich Radanowicz war Offizier in der K.u.K-Armee. Von 1898 bis 1904 lebte die Familie in Kaschau und übersiedelte 1904 nach Prag. Dort erhielt Editha während der Volksschulzeit Privatunterricht durch Hauslehrer. Von 1907 bis 1908 besuchte sie das Sacre Coeur, ein Mädchengymnasium in Prag. Bereits in jungen Jahren wurde ihre musikalische Begabung gefördert und sie erhielt Klavierunterricht. Die Eltern legten auch großen Wert auf die Sprachkenntnisse ihrer beiden Kinder. Zuerst kümmerte sich eine französische Gouvernante um sie, später eine Gouvernante aus Irland. 1908 übersiedelte die Familie nach Baden bei Wien, wo ihr Vater beabsichtigte, seine Pensionsjahre zu verbringen. 1910 wurde er pensioniert und nach 40 untadeligen Dienstjahren geadelt, von daher stammt sein zweiter Nachname Hartmann.
Für Editha war es bereits in jungen Jahren wichtig, auch als Mädchen eine humanistische Ausbildung zu erhalten. Ihr Vater ermöglichte ihr durch seine guten Beziehungen zu den höchsten amtlichen Stellen den Besuch des Kaiser Franz Josef Gymnasium in Baden, das ausschließlich Knaben vorbehalten war. Sie wurde die einzige Schülerin unter 300 Knaben. 1915 maturierte sie mit Auszeichnung. Während ihrer Gymnasialzeit erhielt Editha Tanzstunden in Wien und nahm gemeinsam mit ihrem Bruder Hubert Privatunterricht im schwedischen Turnen, Florettfechten und Sprechen.
Nach der Matura begann Editha mit ihren Studien an der Universität Wien. Von 1915 bis 1916 studierte sie Germanistik und klassische Philologie, ab 1916 Musikwissenschaft, Germanistik und Musiktheorie. 1921 promovierte sie an der Philosophischen Fakultät mit einer Arbeit über „Das Wiener Lied von 1789 – 1815“.
Bereits während ihrer Studienzeit arbeitete sie als Sekretärin beim Psychoanalytiker Otto Rank, der ihr sein Buch „Das Trauma der Geburt“ in die Schreibmaschine diktierte. Durch ihn lernte sie die Psychoanalyse kennen und erhielt auch eine Stelle im Internationalen Psychoanalytischen Verlag. Dort war sie zehn Jahre als Sekretärin und Lektorin tätig und bereitete unter anderem in Zusammenarbeit mit Anna Freud und A. J. Storfer zu Freuds 70. Geburtstag die Herausgabe seiner „Gesammelten Schriften“ vor.
Zu dieser Zeit lernte Editha ihren ersten Mann kennen, von dem nur der Nachname Alberti bekannt ist. Die Ehe dürfte nicht besonders harmonisch verlaufen sein, denn bereits 1925 erfolgte die Scheidung. Zwei Jahre zuvor hatte Editha ihren späteren zweiten Mann, Richard Sterba, an der Universität kennen gelernt. Die beiden heirateten 1926. Das gemeinsame Einkommen erlaubte ihnen die Anschaffung einer Wohnung im 6. Wiener Gemeindebezirk, die so groß war, dass sie beiden ausreichend Platz zum Leben und für ihre psychoanalytische Tätigkeit bot.
Otto Rank motivierte Editha, eine psychoanalytische Ausbildung zu absolvieren. Neben ihrem Mann Richard Sterba, sowie Grete Bibring und Eduard Kronengold wurde sie eine der ersten Kandidatinnen des 1925 offiziell eröffneten Lehrinstitutes der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. Ebenso wie ihr Mann war sie wahrscheinlich bei Eduard Hitschmann in Lehranalyse. Von Beginn der Ausbildung an gehörte ihr besonderes Interesse der Behandlung von Kindern und Jugendlichen. Sie besprach regelmäßig ihre Fälle mit Anna Freud. Aus diesen Gesprächen entwickelte sich das sogenannte „Seminar für Kinderanalyse“. Bald gehörten auch Marianne Rie-Kris, Anni Angel-Katan, Jenny Pollack-Wälder, Edith Buxbaum und Dorothy Tiffany-Burlingham zum Teilnehmerkreis.
Mit einigen der Seminarteilnehmer, vor allem den jüngeren Mitgliedern der Vereinigung, waren Editha und Richard Sterba auch persönlich befreundet, so etwa mit Grete und Edward Bibring, Wilhelm und Annie Reich, Willi und Hedwig Hoffer, Jenny und Robert Wälder, Marianne und Ernst Kris, Otto und Melitta Sperling und Edith Buxbaum. Ihr Hausarzt Max Schur wurde später ebenfalls zum Freund und Kollegen.
Editha war gemeinsam mit ihrem Mann in eigener Praxis tätig. 1928 übernahm sie die Leitung der dem psychoanalytischen Ambulatorium angeschlossenen Erziehungs-beratungsstelle, deren Leitung zunächst Hermine Hug-Hellmuth und nach deren Tod 1924 Flora Kraus innehatte. 1932 wurde eine weitere Erziehungsberatungsstelle eröffnet, die Editha gemeinsam mit August Aichhorn, Anna Freud und Willi Hoffer leitete. Sie begleitete August Aichhorn zu Beratungen an Wiener Schulen und übernahm von ihm Klienten. Im Oktober 1934 wurde sie mit der Leitung des Anfängerseminars „Technik der Kinderanalyse“ betraut.
1928 veröffentlichte Editha Sterba in einem Sonderheft der „Zeitschrift für Psychoanalytische Pädagogik“ ihren ersten Artikel „Ein Beitrag zur analen Masturbation“. 1929 folgten die Artikel „Pflastersteine“, „Nacktheit und Scham“, „Der Schülerselbstmord in André Gides Roman ‚Die Falschmünzer’“. Im Dezember 1925 wurde Editha außerordentliches, im Dezember 1930 ordentliches Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung.
Nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Österreich, am 12. März 1938 wurde die Gefahr durch die Nazis immer bedrohlicher, Angst und Sorge prägten den Alltag. Richard und Editha Sterba beschlossen, Österreich zu verlassen, obwohl sie als Nichtjuden nicht unmittelbar bedroht waren. Editha fiel dieser Entschluss nicht leicht. Sie fühlte sich sehr an den Familiensitz in Gmunden gebunden, mit dem sie viele Erinnerungen verbanden. Hier hatte sie mit ihrem Mann und den Kindern jahrelang die Sommer verbracht. Und in späteren Jahren waren ihnen die Analysanden dorthin gefolgt, sodass sie ihre Analysen auch im Sommer fortsetzen konnten.
Editha und Richard Sterba wollten zunächst in die Schweiz. Da es zu dieser Zeit für nichtjüdische Ärzte bereits schwierig war, das Land zu verlassen und um die Abreise nicht als Flucht aussehen zu lassen, beschlossen sie, getrennt zu reisen. In Basel wollten sie sich treffen. Editha fuhr mit den beiden Töchtern und der Haushälterin über Venedig in die Schweiz. Richard Sterba suchte auf Vorschlag einer holländischen Patientin am holländischen Konsulat um eine Bestätigung an, dass er die Patientin auf Wunsch ihrer Eltern in ihre Heimat begleiten solle, da ihre neurotische Verfassung eine Reise alleine nicht zulassen würde. Am 17. März 1938 traf Richard Sterba in Basel ein, einen Tag später Editha mit den beiden Töchtern. Die Familie fand bei einer alten Verwandten Unterkunft. Kurz nach der Ankunft in Basel ersuchte Richard Sterba beim amerikanischen Konsulat um Einwanderungsvisa für sich, seine Familie und die Haushälterin. Bei Editha ergaben sich unerwartete Schwierigkeiten: Da sie in Ungarn geboren war und die Quote für ungarische Personen bereits erreicht war, hätte sie 13 Jahre auf ein Visum warten müssen. Editha und ihr Mann versuchten schließlich auf Anraten von Ernest Jones und Anna Freud ein Visum für Südafrika zu bekommen, um gemeinsam mit dem dort bereits ansässigen Analytiker Dr. Wolf ein psychoanalytisches Lehrinstitut aufzubauen. Die Einreise und Niederlassung wurden jedoch nicht bewilligt.
Die Schweizer Behörden legten der Familie Sterba immer eindringlicher nahe, das Land zu verlassen. So unternahm Richard Sterba, einen weiteren Anlauf und bemühte sich erneut um ein Visum für die Vereinigten Staaten. Er schrieb an eine ehemalige Patientin und bat sie um ein sogenanntes „affidavit of support“, d.h. eine Erklärung, dass sie die Familie Sterbas im Notfall unterstützen würde. Da sie bereits mehrere solcher Erklärungen abgegeben hatte, ließ ihre finanzielle Situation die Ausstellung einer weiteren nicht mehr zu. Doch eine Bekannte von ihr, die Romanschriftstellerin Laura Hobson, erklärte sich sofort dazu bereit. Laura Hobson arbeitete beim Time Magazine und nutzte ihren Einfluss bei den Behörden in Washington. Nach einigen Monaten erhielten die Sterbas endlich die ersehnten Visa und trafen am 2. Februar in New York ein. Nach einigen Wochen Aufenthalt in New York zogen sie nach Chicago, wo sie bis 1946 lebten und ließen sich schließlich in Detroit nieder.
In Detroit setzte Editha Sterba ihre Arbeit als Psychoanalytikerin fort. Im Gegensatz zu den Jahren in Wien behandelte sie in ihrer Privatpraxis jetzt hauptsächlich Erwachsene und Jugendliche. Für das Jewish Familiy Service entwickelte sie Methoden zur Behandlung von jungen Holocaustüberlebenden. Gemeinsam mit ihrem Mann und Leo Bartemeyer gründete sie die Detroit Psychoanalytic Society. 1953 folgte sie einer Einladung als Consultant für den Bereich der Kinderpsychiatrie an die Wayne University. Sie beteiligte sich an zahlreichen Forschungsarbeiten und Projekten wie der Einrichtung des Children’s Service am McGregor Center, der North East Detroit Guidance Clinic und der Gründung der Anna-Maria Roeper City and Country School, einer Ausbildungseinrichtung für Krankenschwestern. Sie arbeitete am Children’s Hospital in Michigan und hatte einen Lehrauftrag am Department of Psychology der University of Michigan. Sie wurde Mitglied der American Psychoanalytic Association, der Association for Child Psychoanalysis und 1955 Mitglied der Michigan Psychoanalytic Association.
Editha Sterba starb am 2.Dezember 1986 in Detroit.
Quellen:
Huber, Wolfgang (1977): Psychoanalyse in Österreich seit 1933. Wien-Salzburg, Geyer.
Izner, Sanford M. (1990): Obituary Richard F. Sterba M.D. (1898-1989). IJP 71, 531-532.
Kerbl, Brita (1992): Die weiblichen Mitglieder der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. Bibliographische Daten mit besonderer Berücksichtigung der Emigration. Wien: Diplomarbeit.
Mühlleitner, Elke (1992), Biographisches Lexikon der Psychoanalyse. Die Mitglieder der Psychologischen Mittwoch-Gesellschaft und der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung 1902-1938. Tübingen: edition diskord.
Schneiderbauer, Eleonore (1994): Richard und Editha Sterba. In: Oskar Frischenschlager (Hg.): Wien, wo sonst! Die Entstehung der Psychoanalyse und ihrer Schulen. Wien, Köln, Weimar: Böhlau.
Sterba, Richard F. (1985): Erinnerungen eines Wiener Psychoanalytikers. Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuchverlag.
Wechselberger, Sonja Christine (1996): Der Zauberer gegen die Angst. Dr. Editha Sterba 1895-1986, eine Kinderanalytikerin in der Frühzeit der Psychoanalyse, biographische und theoretische Annäherung. Innsbruck: Diplomarbeit.
Text: Sabine Janda, 2008
Redation: CD, 2008, 16.11.2013