Institutionsgeschichte
Quelle, wenn nicht anders angegeben:
Roudinesco, Elisabeth (1996): Jaques Lacan. Übersetzung aus dem Französischen von Hans dieter Gondek. Köln: Kiepenheuer & Witsch. S 627-648
Originalausgabe:
Roudinesco, Elisabeth (1993): Jaques Lacan. Esquisse d’une histoire d’un système de pensée. Librairie Arthème Fayard
1926 Gründung der Sociéte Psychanalytique de Paris – SPP (IPA Mitglied)
1934 Lacan wird Mitglied, später Vizepräsident der Société Psychanalytique de Paris, SPP
1953 Austritt Lacans aus der SPP
Beginn der Institutionalierung des Lacanismus, der durch die Bildung zahlreicher Gruppierungen gekennzeichnet ist:
„Das Anwachsen der Anzahl der Gruppen entspricht nicht einer wirklichen Vermehrung der Anzahl der Psychoanalytiker, sondern einer für die lacanianische Bewegung seit ihren Anfängen charakteristischen Entwicklung. Zur Dissidenz genötigt, wo sie doch orthodox sein wollte, war diese in eine von der ständigen Wiederkehr von Spaltung gekennzeichneten Geschichte eingespannt. Alles sieht in der Tat so aus, als ob der Lacanianismus seine Geschichte nach dem Vorbild einer Kurzsitzung, das heißt gemäß einer von Bruch, Subversion und Revolution bewohnten Zeitlichkeit, durchlaufen hätte. […] immer noch die Geschichte eines passage à l’acte, das Abenteuer eines Augenblicks: eine Art surrealistische Zeitlichkeit.“ Roudinsco, 1996, 632)
BIS 1985:
1953 Gründung der Société Française de Psychanalyse - SFP, die von der IPA aber nicht anerkannt wurde.
1965 Auflösung der SFP infolge einer Aufspaltung der SFP in die Association Française de Psychanalyse - APF und die École Française de Psychanalyse EFP.
1964 Gründung der Association Française de Psychanalyse - AFP, die wieder IPA Mitglied wurde.
1964 Gründung der École Française de Psychanalyse - EFP, kurze Zeit später umbenannt in École Freudienne de Paris (EPF) durch Lacan, die bis 1980 besteht.
1980 Gründung der Ècole de la cause freudienne - ECF, gegründet von Jaques-Alain Miller, Schwiegersohn, Herausgeber der Seminare und Nachlassverwalter Lacans.
1982 Association freudienne – AF
1982 Centre de formation et de recherche psychoanalytiques – CFRP
1982 Cercle freudien
1983 Cartels constituants de l’analyse freudienne – CCAF
1983 Ècole freudienne
1983 Fédération des ateliers de psychanalyse
1983 Convention psychabalytique – CP
1983 Cout freudien
1983 Gropue régional de psychanalyse – GRP (Marseille)
1983 Errata
1985 Ècole lacanienne de psychanalyse – ELP
1985 Psychanalyse actuelle
Ab 1985 - Gründungen von alten Mitgliedern der EFP oder ihr Nahestehenden:
1985 Bibliothéque de recherche freudienne et lacanienne (Strasbourg)
1986 Séminaires psychanalitiques de Paris
1989 Champ psychanalytique it social – CPS
1990 Association pour une instance des psychoanalystes APUI
1990 Èchanges internaionaux de rechrches psychanalytiques (Aix-en-Provence)
1991 Trait du cas
Gründungen, Spaltungen 1985-1993:
1991 Association Dimensions freudiennes (aus einer Spaltung der ECF)
1992 Analyse freudienne (aus einer Art Implosion der CCAF)
(nach Roudinesco 1996)
1991 Inter-Associciatin de psychanalyse:
umfasst die Gesamtheit der Organisationen, die aus der alten EFP entstanden, außer ELP und ECF
insgesamt 10 Organisationen: CFRP, CCAF, AF, CP, Cercle freudienne, Séminaires, CPS, Errata, Cout freudienne, Psychanalyse actuelle)
1991 Fonfation européen de psychanalyse – Verwandlungsprodukt der AF, die sich in Association freudienne internationale umbenannt hatte – gegründet als Gegengewicht gegen die Inter-Associciatif de psychanalyse.
Bis 1989 Champ freudienne – geleitet von Judith Miller, eine vom lacanianischen Legitimismus (Familie Miller) als verbindende Instanz der lacanianischen Gruppen international gedacht, die beibehalten aber durch eine EEP ergänzt wurde.
1990 Ècole européenne de psychanalyse – EEP, vereint verschiedene Gruppe des CF (sich auf Europa berufend aber weitgehend auf Spanien beschränkt)
1985 Escuela des Campo freudiano (Caracas) an die sich die EEP anschloss
1992 Escuela de la orientación lacaniana EOLCF (Buenos Aires), wo es damals 3 IPA und 69 lacanianische Organisationen gab)
1992 Association mondiale de psychanalyse AMP
Gründung von Miller mit internationaler Ausrichtung, Pakt von Paris – Gegenentwurf zur IPA (vereinigte französische und venezuelanische ECF, EEP, EOLCF). Dominante Sprache ist das Spanische.
„Im Herzen der französischen Bewegung der neunziger Jahre ist der CFRP zur repräsentativsten Assoziation eines pluralen Lacanianismus geworden, der offen ist für alle Komponenenten des Freudianismus, die IPA eingeschlossen.“ Roudinesco, 1996, 646)
Roudinesco vergleicht 1996 IPA und AMP auch in Hinblick auf ihre Ausbildungsrichtlinien.
Für Roudinsco verkörperte lange Zeit Anna Freud den Legitimismus der IPA.
„In der lacanianischen Internationale beherrscht eine Familie den Schauplatz der Bewegung: mit Jaques.Alain Miller als politischem Chef und testamentarischem Vollstrecker eines Werkes, mit Judith Miller als Erbin einer väterlichen Hinterlassenschaft und Geschäftsführerin und mit Gérard Miller als Schatzmeister der Institutionen.
Das für die IPA verbindliche Modell läßt in ihrem Inneren alle möglichen Divergenzen in der Lehre zu, untersagt aber jede Überschreitung der technischen Regeln. Das Millersche Modell toleriert dagegen keinerlei Divergenz in der Lehre, verpflichtet aber in der Ausbildung auf keine technische Regel.“ (Roudinsco 1996, 634)
„Aus einer Subversion und aus einem Wunsch nach Überschreitung entstanden, ist die lacanianische Aufhebung von ihrem Wesen her der Zerbrechlichkeit und der Zerstreuung ausgeliefert. Das ist auch der Grund, warum im Gegensatz zum freudianischen Legitimismus der lacanianische (millerianische) Legitimismus in nahezu der Gesamtheit der Länder, in denen er sich nach Lacans Tod ausgebreitet hat, über einen minoritären Status nicht hinausgekommen ist. Indem sie eine bis ins Äußerste zentralisierte Struktur, eine Vergöttlichung der Gestalt Lacans und eine theoretische Linie hat durchsetzen wollen, hat sie sich in einen Widerspruch gesetzt zum Wesen der ursprünglich pluralen, prometheischen, berocken und einer Eindeutigkeit unfähigen Umgestaltung.“ (Roudinsco 1996, 635)
„Von seiten des philosophischen Diskurses und des universitären Wissens ist das Lacansche Werk zu einem Gegenstand des Denkens geworden, losgelöst von jeder klinischen Implikation und jedem institutionellen Belang.“ (Roudinsco, 1996, 637)
Klinisch hat Lacan die großen Fälle der Psychoanalyse zwar kommentiert, aber nie selbst einen Fallbericht aus eigener Praxis vorgelegt. Seine Dissertation über „Aimée“ hat er klinisch nach psychiatrischen Gesichtspunkten behandelt. Seine Erben sind nun genötigt, ausgehend von einem Kommentar zu einem Kommentar eine eigenen lananianische Klinik zu entwickeln. (siehe dazu Roudinsco, 640)
„Die Mehrzahl der führenden Vertreter der ECF waren von Lacan zwischen 1970 und 1980 analysiert worden. Sie hatten also den Schwindel einer fortschreitenden Auflösung der Zeit der Sitzungen miterlebt. Und sowie sie sich diesen Schwindel auch weiterhin nicht eingestehen konnten, außer in Rückübersetzung in ein hagoigraphisches Epos, wiederholen sie mit ihren Analysanten, was einst ihre Erfahrung in der Höhle der Rue de Lille gewesen war. Keiner von ihnen hat es bis zu diesem Tag gewagt, die Zeit der Sitzungen radikal abzuschaffen, doch die Viertelstunde ist in der ECF das Modell einer typischen Kur geworden. Einige treffen keine Verabredungen mehr zu festgelegter Zeit, und manche haben die Zeit auf fünf Minuten reduziert. Eine beträchtliche Zahl von Lateinamerikanern macht ihre Kur in diesem Rahmen in Paris; sie nehmen das Flugzeug und bleiben einen Monat pro Jahr hier am Ort: die Sitzungen von einer Viertelstunde erfolgen nun im Rhythmus von drei oder vier pro Tag über einen Monat hinweg. Auf diese Weise wird die Zentralisierung des Imperiums gesichert.“ Roudinesco, 1996, 640f)
Neue Wiener Gruppe (Lacan Schule)
Quelle: http://www.lacan.at/seiten_LA/index2.html; [6.8.2013]
„Die Entstehung der Neuen Wiener Gruppe (Lacan-Schule) geht auf das Internationale Seminar: Psychoanalyse und Strukturalismus - Freud und Lacan zurück, das 1986 und 1987 vom Französischen Kulturinstitut, vom Institut für Wissenschaft und Kunst sowie von der Österreichischen Gesellschaft für Kulturanalyse veranstaltet worden ist. Vom Januar 1986 bis zum April 1987 fanden elf Wochenendseminare mit Vorträgen, Diskussionen und Workshops statt, in denen Alain Didier-Weill, Susanne Hommel, Lucien Israel, Franz Kaltenbeck, Friedrich Kittler, Sarah Kofman, Jean Laplanche, Rosine und Robert Lefort, Thanos Lipowatz, Jacques-Alain Miller, Genevieve Morel, Andreas Pribersky, August Ruhs, Leonhard Schmeiser, Colette Soler, Michael Turnheim, Samuel Weber, Peter Weibel, Jean-Pierre Winter zu Wort kamen.
Der Gedanke an die Gründung der Neuen Wiener Gruppe wurde erstmals im November 1986 in einem Gespräch zwischen Jacques-Alain Miller, August Ruhs und Walter Seitter geäußert (es war im Taxi).
Am 13. und 14. November 1987 veranstaltete die kaum noch konstituierte Gruppe das Kolloquium Die Masken der Hysterie mit Vorträgen von Norbert Haas, Helmut Kohlenberger, Rado Riha, August Ruhs, Helena Schulz-Keil, Walter Seitter, Peter Widmer, Slavoj Zizek.
Am 22. November 1989 wurde in der Galerie Faber in Wien die Neue Wiener Gruppe (Lacan-Schule) mit ihren beiden Sektionen Ästhetik und Klinik von Walter Seitter und August Ruhs mit zwei programmatischen Vorträgen gegründet: Physik des Sichtbaren, Politik des Sichtbaren und Die Kunst des Zuhörens. Damals nahmen die beiden Sektionen auch ihre regelmäßigen Tätigkeiten auf, die sie bis heute ausüben. […]
Am 17. Juni 2010 wurde in einer außerordentlichen Generalversammlung neben den bestehenden Sektionen „Klinik“ und „Ästhetik“ eine neue Sektion der Neuen Wiener Gruppe/Lacan-Schule gegründet. Diese „Sektion Logik“ wird von den Mitgliedern Wolfgang Brumetz, Sandor Ivady und Noah Hollwieche geleitet. „
Das Veranstaltungsprogramm dokumentiert die vor allem kuturtheoretische Ausrichtung dieser Gruppe.
Neues Lacansches Feld Österreich
Quelle: http://www.lacanfeld.at/ [12.4.2014]
„Im Herbst 2009 ist von Analytikern, die sich in ihrer Arbeit an der Lehre Sigmund Freuds und Jacques Lacans orientieren, das Neue Lacansche Feld in Österreich gegründet worden.
Die Mitglieder des Feldes setzen sich zum Ziel, der Psychoanalyse und ihrer Klinik im Sinne Sigmund Freuds und Jacques Lacans einen weiteren Raum im österreichischen therapeutischen und psychoanalytischen Diskurs zu schaffen. Sie möchten Interessierten die Bekanntschaft mit der psychoanalytischen Ethik eröffnen und den Mitgliedern einen Raum schaffen, in dem sie sich mit Theorie und Klinik auseinandersetzen und gegebenenfalls für ihre persönliche Bildung zum/r Analytiker/in nutzen können. - Wir stützen uns dabei u. a. auf die von Eric Laurent 2004 verfassten „Leitende Prinzipien für jeden psychoanalytischen Akt“.
Der analytische Diskurs wurde in Österreich durch den Nationalsozialismus physisch zerstört und ethisch auf eine Art verseucht, die bis heute nachwirkt – wir wollen einen weiteren Beitrag zu seiner Wiederherstellung leisten.
Diese Aufgabe erscheint uns wichtig in Zeiten, in denen den in und an ihrer Seele Leidenden immer mehr „Lösungen“ angeboten werden, die zu einer Stilllegung des Sprechens und ihrer Subjektivität führen, die das Unbewusste ignorieren, die Illusion eines nicht mangelhaften Glücks suggerieren und eine bloße Anpassung an das gesellschaftliche Funktionieren im Sinne des Marktes zum Ziel haben und so den Menschen ein weiteres Mal auf ein Tauschobjekt reduzieren.
Diese Gründung ist ein Versuch, die etablierten Formen der psychoanalytischen Bildung zu öffnen. Wir intendieren weniger Verwaltung von gesichertem Wissen, vielmehr Raum und Zeit für die Bildungen des Unbewussten, die nie zu kontrollieren sind, zu schaffen.
Diese Prinzipien sind uns bei unserem Projekt eine ethische Vorgabe, da es keine von vorneherein vorgegebenen festen Strukturen hat. Diese werden sich erst nachträglich durch die gemeinsame Arbeit in dieser Werkstätte ergeben und auch dann einer andauernden Wandlung unterzogen.
Wir möchten diese Bestrebungen - wenn möglich in Kooperation mit anderen Kräften in Österreich, die schon in diese Richtung wirken (Neue Wiener Gruppe/Lacan Schule, stuzzicadenti, Lacan-Archiv Bregenz) und mit entsprechenden Initiativen im Ausland (z. B. Psychoanalytisches Kolleg und AFP in Deutschland; Institut des Freudianischen Felds NLS in Frankreich; dor-a-GIEP in Israel) – fördern, wobei unser Schwerpunkt die Betonung des klinischen Feldes sein wird.
Mit ihrer moralischen Begründung wiederholt diese Gruppe die Volte des Lacanschen Gründungsaktes der EFP, mit dem er sich nach seinem Ausschluss aus der IPA über diese erhob, indem „er der Gründung seiner Schule mit dem Ereignis Auschwitz verknüpfte“ (Roudinesco 1996, 469), das er, der Nicht-Jude, universalisierte und zu einer die gesamte Menschheit angehende Tragödie machte.
Roudinsco sieht darin eine symbolische Enteignung der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung, die er forthin nicht mehr als würdig ansah, „die Botschaft der jüdischen Dissidenz, der Infragestellung und Bestreitung der etablierten Ordnung weiterzugeben, die Freud ihnen hinterlassen hatte und die nach Auschwitz radikal neu gedacht werden mußte.“
Zusammenstellung: CD, 8.8.2013, Ergänzung am 12.4.2014