Hippolyte Bernheim, die Hypnose und Sigmund Freud
Die Schule von Nancy: Es ist keine andere Klinik aus dem 19. Jahrhundert bekannt, in der somatische Beschwerden primär mit Hilfe einer Psychotherapie behandelt wurden.
Die Nancy-Schule glaubte, dass Hypnose ein psychologisches Phänomen sei und Brücke zwischen Arzt und Patient, wenn der Patient sich Krankheiten nur einbilde. Für Bernheim ist die Suggestion ein „Vorgang, durch welchen eine Vorstellung in das Gehirn eingeführt und von ihm angenommen wird.“ Seine Vorstellungen von Fremdsuggestion versus Autosuggestion machen plausibel, warum Geistekranke mit Hypnose so schwer zu beeinflussen sind.
Angeregt von den Erfahrungen Breuers und den Demonstrationen Charcots, versuchte Freud die Hypnose therapeutisch anzuwenden. Am am 28.12.1887 schrieb er an Wilhelm Fließ :
„Ich selbst habe mich in den letzten Wochen auf die Hypnose geworfen und allerlei kleine, aber merkwürdige Erfolge erzielt. Ich gedenke auch das Buch von Bernheim über die Suggestion zu übersetzen.“ (Freud, 1985c, 5)
Zur Übersetzung von: Bernheim, Hippolyte (1886): De la suggestion et de ses applications à la thérapeutique. Paris.
Hippolyte Bernheim (1888-89): „Die Suggestion und ihre Heilwirkung“. Wien: Deuticke.
Freud, Sigmund (1888-89a): Übersetzung mit „Vorrede des Übersetzers“ und zusätzlichen Fußnoten von: Bernheim, Hippolyte (1886): De la suggestion et de ses applications à la thèrapeutique. Paris. Unter dem Titel „Die Suggestion und ihre Heilwirkung“.
Die „Übersetzung wurde in zwei Hälften veröffentlicht, die erste Hälfte mit dem allgemeinen Teil und Freuds Vorrede erschien im Sommer 1888, die zweite Hälfte mit den von O. von Springer übersetzten Krankengeschichten Anfang 1889 mit einem Nachwort von Freud (unter 1889d).
2. überarbeitete Auflage von Max Kahane, Wien 1896, mit einem Vorwort von Freud (unter 1896d).
Vorabdruck mit einem Teil der „Vorrede des Übersetzers“ unter (1888d).“ (Meyer-Palmedo, Fichtner 1999, 22)
Vorrede und eine der Fußnoten in: GW, Nachtragsband, 109-120.
Im Sommer 1889 besuchte Freud Bernheim in Nancy und lässt eine seiner Patientinnen nachkommen. In seiner Selbstdarstellung berichtete er 1925 darüber:
„In Paris hatte ich gesehen, daß man sich der Hypnose unbedenklich als Methode bediente, um bei den Kranken Symptome zu schaffen und wieder aufzuheben. Dann drang die Kunde zu uns, daß in Nancy eine Schule entstanden war, welche die Suggestion mit oder ohne Hypnose in großem Ausmaß und mit besonderem Erfolg zu therapeutischen Zwecken verwendete.“ (Freud 1925d, 40)
„In der Absicht, meine hypnotische Technik zu vervollkommnen, reiste ich im Sommer 1889 nach Nancy, wo ich mehrere Wochen zubrachte. Ich sah den rührenden alten Liébault bei seiner Arbeit an den armen Frauen und Kindern der Arbeiterbevölkerung, wurde Zeuge der erstaunlichsten Experimente Bernheims an seinen Spitalspatientinnen und holte mir die stärksten eindrücke von der Möglichkeit mächtiger seelischer Vorgänge, die doch dem Bewusstsein des Menschen verhüllt bleiben. Zum Zwecke der Belehrung hatte ich eine meiner Patientinnen bewogen, nach Nancy nachzukommen. Es war eine vornehme, genial begabte Hysterika, die mir überlassen worden war, weil man nichts mit ihr anzufangen wusste. Ich hatte ihr durch hypnotische Beeinflussung eine menschenwürdigere Existenz ermöglicht und konnte sie immer wieder aus dem elend ihrer Zustände herausheben. Daß jedes Mal nach einiger Zeit rückfällig wurde, schob ich in meiner damaligen Unkenntnis darauf, daß ihre Hypnose niemals den Grad von Somnabulismus mit Amnesie erreicht hatte. Bernheim versuchte es nun mit ihr wiederholte Male, brachte es aber auch nicht weiter. Er gestand mir freimütig, daß er die großen therapeutischen Erfolge durch die Suggestion nur in seiner Spitalspraxis, nicht auch an seinen Privatpatienten erziele. Ich hatte viele anregende Unterhaltungen mit ihm und übernahm es, seine beiden Werke über die Suggestion und ihre Heilwirkungen ins Deutsche zu übersetzen.“ (Freud 1925d, 41)
Mit seinen Übersetzungen der Bücher Charcots und Bernheims trug Freud wesentlich zur Verbreitung und wissenschaftlichen Anerkennung der beiden französischen Schulen in Wien bei.
Redaktion: CD, 1.9.2010