Diercks, Christine (2008): Dis-Kontinuitäten. Wiener Pschoanalytische Vereinigung 1908-2008

Diercks, Christine (2008): Dis-Kontinuitäten. Wiener Pschoanalytische Vereinigung 1908-2008

Rede zur Eröffnung des EPF Kongresses 2008, der mit dem Thema „Der Schatten des Erbes“ in Wien vom 13. bis zum 16. März zu Ehren der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung stattfand, die sich vor hundert Jahren am 15. April 1908 aus der Psychologischen Mittwoch-Gesellschaft konstituierte.

Es ist mir eine sehr große Freude und Ehre, Sie heute hier  im Namen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung und des Wiener Arbeitskreises für Psychoanalyse (1) in jener Stadt begrüßen zu dürfen, in der vor hundert Jahren Sigmund Freud und die Mitglieder der Psychologischen Mittwoch-Gesellschaft die erste psychoanalytische Vereinigung gründeten.
Vor diesem historischen Hintergrund regt das Tagungsthema zur Reflexionen auf verschiedensten Ebenen an. Im Rahmen der individuellen psychosexuellen Entwicklung verweist es auf Verinnerlichungsprozesse, die Freud zuerst sehr spekulativ in Totem und Tabu (1912, GW IX) konzeptualisierte. Er zeigte in der Folge ihre Transformierungen in psychische Struktur auf, deren Ergebnis das Über-Ich als das Erbe des Ödipuskomplexes ist. Dabei dachte Freud einen Zeithorizont mit, der über die Betrachtung der einzelnen Persönlichkeitsentwicklung weit hinausführte: 
„Die Erlebnisse des Ichs scheinen zunächst für die Erbschaft verloren zu gehen, wenn sie sich aber häufig und stark genug bei vielen generationsweise aufeinanderfolgenden Individuen wiederholen, setzen sie sich sozusagen in Erlebnisse des Es um, deren Eindrücke durch Vererbung festgehalten werden. Somit beherbergt das erbliche Es in sich Reste ungezählt vieler Ich-Existenzen“.  (1923, Das Ich und das Es. GW XIII, S. 267)
Damit ist für unsere Tagung ein Rahmen abgesteckt, der auf die enge Verbindung zwischen individueller Entwicklung und Gattungsgeschichte verweist. Psychoanalyse, die das ernst nimmt, ist damit nicht nur Heil- und Forschungsmethode für individuelle seelische Dynamik, sondern immer auch Zivilisationstheorie. Als solche ist sie und die Bewegung, die sie hervorrief, selber Teil der Zivilisationsgeschichte des letzten Jahrhunderts und Gegenstand der Analyse geworden. Es war ein folgenreicher Schritt, aus epochalen Erkenntnissen eines einzelnen wissenschaftlichen Autors eine Bewegung und eine eigene wissenschaftliche Disziplin zu schaffen, die weltweit Schule machte.

Die ersten, die sich 1902  in der Berggasse mittwochs zu regelmäßigen Zusammenkünften einfanden, waren Alfred Adler, Max Kahane, Wilhelm Stekel und Rudolf Reitler. Die Gruppe wuchs rasch an und aus ihr konstituierte sich 1908 die Wiener Psychoanalytische Vereinigung. 
Eine erste internationale psychoanalytische Tagung fand Ende April 1908 in Salzburg statt, 1910 wurde die Internationale Psychoanalytische Vereinigung (IPV) gegründet. Der Erste Weltkrieg unterbrach bald diesen beginnenden Institutionalisierungsprozess und auch die internationalen Verbindungen. Erst auf dem Budapester Kongress 1918 traf man wieder zusammen, Verlagsgründung und Systematisierung der Ausbildung und die Gründung psychoanalytischer Behandlungsstätten für Bedürftige wurden dort geplant und in Berlin 1920 mit der Poliklinik, in Wien 1922 mit dem Ambulatorium und 1925 mit dem Lehrinstitut umgesetzt. 
Wilhelm Reich, Leiter des therapeutisch- technischen Seminars im Ambulatorium kam wie Siegfried Bernfeld, Grete und Edward Bibring, Otto Fenichel, Willi Hoffer, Anni Reich aus der linken Jugendbewegung. Kultur- und gesellschaftskritisch setzten sie sich für Sexualaufklärung und Schulreform ein und begannen, die Psychoanalyse in Pädagogik, Kindergarten und Erziehungsberatungsstellen anzuwenden. Anna Freud entwickelte ihre Methode der Kinderpsychoanalyse.  
Diese zweite Generation von Analytikerinnen traf nach Jenseits des Lustprinzips (Freud, 1920, GW 13) und der Einführung der Strukturtheorie 1923 allerdings auf eine andere Psychoanalyse als die ersten Pioniere, die diese Umwälzungen zum Teil nicht mehr mitvollzogen hatten. Eine, die diese neuen Gedanken begierig aufgenommen hatte, war die ebenfalls in Wien geborene Melanie Klein, die in Budapest, Berlin und schließlich in London mit der Erforschung der frühesten Kindheit psychoanalytisches Neuland betrat und auf diesem Feld in direkte Konkurrenz zu Anna Freud geriet. Wachsenden Spannungen zwischen Wien und London versuchte man mit Austauschvorlesungen („exchange of lectures“) zu begegnen.

In Deutschland wurden die jüdischen Analytiker seit 1933 verfolgt. Der seit 1934 in Österreich herrschende Austrofaschismus führte auch hier zu ersten Emigrationen und veranlasste die in Wien Ausharrenden zum Stillhalten. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1938 bedeutete das Ende für die Psychoanalyse in Wien, es kam zur Liquidierung der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, der „Arisierung“ ihres Vermögens und ihrer Räumlichkeiten.  
In der WPV hielt man am 13. März 1938 eine Vorstandssitzung ab, zwei Beschlüsse wurden gefasst: Alle sollten sobald wie möglich aus dem Land fliehen und der Sitz der Vereinigung sei dorthin zu verlegen sei, wo Freud sich niederlassen werde. 
Drei Mitglieder sind in Wien 1938 zurückgeblieben: August Aichhorn, Alfred Winterstein und Richard Nepallek. Allen anderen 1938 zur Vereinigung zählenden und in Wien lebenden PsychoanalytikerInnen und KandidatInnen gelang (zunächst) die Flucht - nicht alle konnten in neuen Ländern wieder Fuß fassen, einige zerbrachen daran.

Nikola Sugar  (1897-1945), Rosa Walk (1893-1942) (Wiener Psychoanalytischen Vereinigung 1938), Alfred Bass (1867-194.), Adolf Deutsch (1867-1943), Margarethe Hilferding (1871-1942), Salomea Kempner (1880-194.), Karl Landauer (1887-1945), David Ernst Oppenheim (1881-1943), Isidor Sadger (1867-1942), Sabina Spielrein (1885-1942), Alfred Meisl (1868-1943) (Psychologische Mittwochgesellschaft) und Karl Motesiczky (1904-1943) (Arbeitsgruppe Aichhorn ab 1938) wurden von 1938 -1945 wegen ihrer jüdischen Herkunft verfolgt, ermordet, in den Tod getrieben, starben im Lager.

London wurde neues Zentrum der Psychoanalyse, denn Freud hatte dort mit seiner Familie und einigen Wiener AnalytikerInnen Aufnahme gefunden.  Damit wurde der wissenschaftliche Konflikt zwischen London und Wien in die Britische Gesellschaft hineinverlagert, wo er eskalierte und als Freud-Klein-Kontorverse (controversial discussions) in die Geschichte der Psychoanalyse einging. Der Tod Freuds 1939, die Frage der Nachfolge und die existentielle Bedrohung, die über ganz Europa lag, trugen zu der Heftigkeit bei, mit der man diese in ihren Folgen so produktive Debatte führte.

Ohne dass es unser persönliches Verdienst wäre, empfinden wir es als eine Ehre, Mitglied in der Wiener Vereinigung zu sein. Wenn wir uns unserer Geschichte stellen, dann gehören dazu auch die gewaltsame Auslöschung der Einrichtungen der Vereinigung, Verfolgung und Vertreibung ihrer jüdischen Mitglieder und vor allem die Gräuel des Naziregimes insgesamt, an denen die Menschen in diesem Land so große Mitschuld hatten.  
Nach dessen Zerschlagung musste die Psychoanalyse in einer Gesellschaft mühsam wieder Fuß fassen, in der nun Opfer, Überlebende und Täter, Mitläufer, Unbeteiligte und jene, die versucht hatten aktiv Widerstand zu leisten, zusammenlebten. Nichts war mehr so wie vor dem Krieg, weder in der Stadt noch in dem kleinen Kosmos der Vereinigung. Die Kriegsgeneration war schwer traumatisiert und die Wiederaufnahme der psychoanalytischen Arbeit erfolgte unter schwierigen, bedrückenden Umständen in einer zerstörten, leid- und schuldbeladenen Gesellschaft, die die Mitverantwortung für das Geschehene vielfach verleugnete. 

Zu Kriegsende waren in Wien nur mehr zwei Analytiker - August Aichhorn und Alfred Winterstein - und ein kleiner Kreis von KandidatInnen anzutreffen, der sich während der NS-Zeit um August Aichhorn 1938/39 in eine zunächst privat und halb konspirativ organisierten Arbeitsgemeinschaft zusammengefunden hatte und (nachträglich) ab Herbst 1941 vom Berliner Göring-Institut im Rahmen eines Ausbildungsseminars anerkannt wurde. Einige seiner Mitglieder waren im Widerstand, es kam zur Verhaftungen von Ella Lingens, Kurt Lingens und Karl Motesiczky, der im Lager ums Leben kam. 
Ein Teil dieser Gruppe bildete den Grundstein für die nach Kriegsende erneut ins Leben gerufene Wiener Psychoanalytische Vereinigung, die im Juli 1946 mit Unterstützung von Anna Freud vom Präsidenten der IPA als Zweiggesellschaft bestätigt und auf dem IPA-Kongress in Zürich 1949 offiziell anerkannt wurde. 
Man wollte die Vereinigung nach dem alten Vorbild formen, aber es fehlte anfangs an allem. In tief empfundener Verbundenheit zu Sigmund Freud suchte man, seine Lehre wieder zu verankern und unverfälscht zu bewahren. Das Hochhalten der Freudschen Triebtheorie gegen andere Strömungen innerhalb der Psychoanalyse war ein wichtiges identitätsstiftendes Moment. Alle Kräfte waren auf die Ausbildung einer neuen Generation von PsychoanalytikerInnen konzentriert. 
Die Siebzigerjahre brachten der Psychoanalyse in Wien einen deutlichen Aufschwung: Die AnalytikerInnen bauten die Sigmund Freud-Gesellschaft in der Berggasse auf. 1971 fand der Internationale Psychoanalytische Kongress in Wien statt. Anna Freud kam zu diesem Anlass erstmals nach ihrer Flucht wieder nach Wien. Für die Studentenbewegung wurde Freud wichtig, viele junge, kluge Köpfe fanden in den Jahren nach 1968 ihren Weg zur Psychoanalyse und trugen diese damit in die gesellschafts- und kulturtheoretischen Auseinandersetzungen und in die Praxis hinein. Die Wiener Vereinigung war an der Gründung der Europäischen Psychoanalytischen Föderation und der Einführung der Mitteleuropäischen Tagungen mitbeteiligt. 
Später - als das Überleben der Psychoanalyse in Wien wieder gesichert war - konnte man sich positiver den aktuellen klinischen und theoretischen Entwicklungen zuwenden und in Wien sind heute alle großen psychoanalytischen Schulen kompetent rezipiert. Kinderpsychoanalyse wird seit vielen Jahren gelehrt und praktiziert, 1991 konnte zunächst eine Beratungsstelle und 1999 dann schließlich das Ambulatorium wieder eröffnet werden, das seitdem zahlreichen, vor allem mittellosen PatientInnen Konsultationen, Psychoanalyse und psychoanalytisch orientierte Behandlungen ermöglicht.

Parallel zur Wiener Vereinigung hat sich nach dem 2. Weltkrieg eine zweite Gruppierung formiert, die eine eigene Entwicklung nahm. Der Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse erfüllt heute als Interim Provisional Society ebenfalls die Standards der IPA. Die beiden Institutionen haben sich nach Jahren großer Ambivalenz und Rivalität kontinuierlich angenähert und führen seit 2 Jahren miteinander die Wiener Psychoanalytische Akademie, die vielbeachtete öffentliche Vorlesungen abhält und deren explizit interdisziplinäre Ausrichtung alle Theorie- und Praxisfelder der Psychoanalyse umfasst.  
Seit dem Jahreswechsel arbeiten alle drei Institutionen Tür an Tür in unserem gemeinsamen Zentrum Salzgries 16, getrennt durch eine Feuermauer und verbunden über mobile Zwischenwände, die – sobald sie geöffnet werden – Raum für ein gemeinsames, neues gut ausgestattetes Veranstaltungszentrum bieten, wo wir Sie am Freitagabend hoffentlich begrüßen dürfen.  

Das Jubiläum der Wiener Vereinigung ist das erste in einer Reihe der Hundertjahrfeiern, die jetzt auf uns zukommen. Dankbar bauen wir auf dem auf, was von den AnalytikerInnen vor uns erarbeitet wurde. Wir gedenken der Traumen, die sie in den Zeiten der Verfolgung erlitten und die unsere Institutionen entscheidend mitgeprägt haben. Unsere Organisationen bieten uns intellektuell und emotional Hilfe, Orientierung und Halt, sind uns Korrektiv und Herausforderung. Ohne sie würde es die Psychoanalyse in dieser Form heute nicht geben. 
Wir können also  unsere Institutionalisierungsgeschichte als einen Prozess der erfolgreichen Tradierung von Wissen und Erfahrung auf einem hohen Niveau lesen und damit auch als einen Prozess der Grenzziehung und Abwehr von Nivellierungen und Entdifferenzierung, der das spezifisch Psychoanalytische bewahren und weiterentwickeln hilft.   

Wie in allen menschlichen Einrichtungen ist jene so destruktiv wirksame Ambivalenz des Triebwesens Mensch aber auch in psychoanalytischen Gesellschaften aktiv, auf die die Wissenschaft, der sie dienen, so unermüdlich hinweist. Der individuelle Ödipuskomplex erscheint im Licht von Totem und Tabu als Reproduktion eines verdrängten, archaischen Vorgangs, den der Ermordung und Verinnerlichung des Urvaters. So verstanden wird Geschichte über einen Prozess nicht erledigter Konflikte in Gang gehalten. (Klaus Heinrich 2001, S.192)
Freud hat das Weiterwirken ungelöster Konflikte und nicht verarbeiteter traumatischer Erschütterungen auf das individuelle Schicksal und die Menschheitsgeschichte aufgezeigt. Er gehört damit zu jenen, die am weitestreichenden in das 20. Jahrhundert hineingewirkt haben. In guter analytischer Tradition haben wir also nicht nur nach den Geschehnissen und Errungenschaften zu fragen, sondern auch danach, was in den und durch die institutionalisierten Formen der Psychoanalyse abgewehrt wird. Das Abgewehrte ist aber auch dort nicht verschwunden, spricht zu uns auf seine Weise, beschäftigt, beunruhigt, fehlt uns als eine wichtige Dimension unseres Bewusstseins, zudem wir uns den Zugang verstellen. 
Die Identifizierung mit der großen Vergangenheit, die besondere Nähe, Verbundenheit und Treue zu Freud, der extrem gewaltsame Bruch und ein damit auf einmal sehr dünner Faden der Kontinuität sowie die schwierige Zeit des Wiederanfangs sind Besonderheiten der Nachkriegsgeschichte der Wiener Vereinigung. Wenn wir diesen großen Schatten auszuweichen suchen, ziehen sie  auch alltägliche, banale Konflikte in ihren Sog und verleihen ihnen eine überwältigende Dimension, die uns weiter zurückweichen lässt. 
Was sich in der Wiener Situation in extremer Zuspitzung ereignet hatte, spielt aber wohl in allen psychoanalytischen Gesellschaften eine Rolle. Will man Freuds Erbe nicht nur bewahren und tradieren, sondern auch lebendig erhalten, muss man wagen, es weiter zu entwickeln, es in Frage zu stellen und damit auch zu gefährden, was immer wieder heftige wissenschaftlichen Kontroversen auslöst. Jeder neue Gedanke zwingt uns diese Auseinandersetzung mit unserem Erbe auf. 
Jubiläen laden besonders dazu ein, verklärend zu den Ursprüngen zurückkehren, um an deren vermeintlicher Macht zu partizipieren und damit die Konfrontation mit aktuellen Konflikten, schwierigen Veränderungen, ungelösten Abhängigkeitsverhältnissen und Bemächtigungsversuchen, die eine ebenso lange Geschichte haben, zu vermeiden. 
Destruktive Gruppendynamik und Grenzüberschreitungen sind nicht seltene Ausnahmen in grundsätzlich funktionierenden Institutionen. Unüberwindlich werden sie erst, wenn die Probleme nicht mehr verhandelbar, nicht mehr aussprechbar werden. Zu diesem Punkt kommt es schnell in unseren Einzelgesellschaften, in denen jeder jeden kennt und wo alle ehrenamtlich mitarbeiten. Wir analysieren dann mit Voreingenommenheit die Konflikte unserer Organisationen ausschließlich selber und schreiben auf diese Weise dann auch unsere eigene Geschichte. Anderen Disziplinen gegenüber beanspruchen wir eine dominante Stellung. Die Diskussion innerhalb der IPA hinsichtlich ihrer potentiellen Monitoring-Funktion erregt Argwohn. Wir schotten uns ab. 
Um die Auseinandersetzung mit kollektiven Erschütterungen aufzunehmen, die uns selber so direkt angehen, bedarf es eines geeigneten Rahmens. Ein analog zur individuellen klinischen Situation bewährtes Setting fehlt uns für die Analyse gesellschaftlicher Prozesse im Großen, aber auch im Kleinen unserer eigenen Organisationsdynamik. Wir brauchen dafür einen Dritten, der den Blick von außen unserem eigenen hinzufügt. 

Hier sind keine einfachen Lösungen zu haben. Der Prozess der Öffnung nach außen, der in den letzten Jahren vielfach in Gang gekommen ist, bietet hier - bei allen Gefahren des Identitätsverlustes - gewisse Möglichkeiten:  Wenn wir mit Fachfremden über die Psychoanalyse sprechen, wenn wir die öffentliche Auseinandersetzung suchen und für unsere Projekte werben, wenn wir staatliche Stellen für unsere Vorhaben Projekte zu gewinnen suchen und wirtschaftliche Grundlagen für unsere institutionellen Aufgaben schaffen, wenn wir Krankenkassen überzeugen, hochfrequente Behandlungen zu finanzieren und mit Patienten an ihren Widerständen arbeiten, wenn wir HistorikerInnen an unsere Akten lassen, AutorInnen studieren, die sich von außen der Psychoanalyse annähern und externe Moderatoren bei explosiven Vereinskonflikten beiziehen, etc. etc.  dann hat dies immer auch eine für uns selbstreflexive, korrigierende, uns mit einer komplexen und nicht der von uns gewünschten Realität konfrontierende Funktion. Diese Konfrontationen können nur gelingen, wenn wir unsere psychoanalytische Haltung bewahren, aber dabei die fortwährende Auseinandersetzung mit der Außenwelt nicht als eine lästige Pflicht ansehen, die uns von unserer eigentlichen Bestimmung abhält, sondern als eine Notwendigkeit, ohne die eine Weiterentwicklung nicht möglich ist.  

Die besondere, ruhmreiche Tradition der Psychoanalyse in Wien und die Erfahrung ihrer Auslöschung stellen seit jeher für uns eine große Verantwortung und Herausforderung dar. Diese hier auf hohem Niveau wieder zu verankern, wäre ohne die IPA und die vielen KollegInnen aus aller Welt, die mit uns gearbeitet haben, nicht möglich gewesen. Wir sind ihnen deshalb zu großem Dank verpflichtet. 

Es freut uns sehr, dass Sie hier sind und wir Gelegenheit haben, Sie damit bekannt zu machen, wie wir als psychoanalytische Gruppierungen den Herausforderungen unserer Zeit begegnen. 
Ich wünsche Ihnen im Namen des Wiener Arbeitskreises für Psychoanalyse und ihres Vorsitzenden Prof. August Ruhs und im Namen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung interessante, nachdenkliche und genussvolle Tage auf diesem Kongress in Wien, jener Stadt, von der die Psychoanalyse ihren Ausgang genommen hat, aus der sie vertrieben wurde, in der soviel Grauen geschehen ist und wo sie heute wieder sehr lebendig ist. 

 

DIS-CONTINUITY
The main theme refers to the close connection between individual and collective development, a connection that Freud always made. The centenary of the Vienna Psychoanalytic Society is the first of several upcoming anniversaries of psychoanalysis and its institutions. 
On looking back we are to ask not only for the historical facts and achievements, but also for what has been repressed in and by the institutionalised structures of psychoanalysis. Anniversaries tend to create a magic of origin in order to participate in this alleged power and thus avoid confronting current conflicts that may have a very long and painful history as well. 
 
DIS-KONTINUITÄTEN
Das Tagungsthema verweist auf die enge Verbindung zwischen individueller Entwicklung und Zivilisationsgeschichte, die seit Freud dabei immer mitgedacht werden muss. Auf die Psychoanalyse und ihre Institutionen als Teil der Zivilisationsentwicklung des letzten Jahrhunderts kommen einige große Jubiläen zu. Das hundertjährige Bestehen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, deren langjähriger Vorsitzender Sigmund Freud selbst war, macht hier nur den Anfang. 
Blickt man zurück, ist nicht nur nach den Geschehnissen und Errungenschaften zu fragen, sondern auch danach, was in den und durch die institutionalisierten Formen der Psychoanalyse abgewehrt wird. Jubiläen verführen dazu, verklärend zu den Ursprüngen zurückkehren, um an deren vermeintlicher Macht zu partizipieren und damit die Konfrontation mit aktuellen Konflikten, die eine lange, schmerzvolle Geschichte haben, zu vermeiden.

Literatur: 
Diercks, Christine (2008): Dis-Kontinuitäten. EPF Bulletin 62, 11-16-
Freud, Sigmund (1912): Totem und Tabu. GW IX. Frankfurt/M., Fischer
Freud, Sigmund (1923):  Das Ich und das Es, GW XIII. Frankfurt/M., Fischer.
Heinrich, Klaus  (2000): Psychoanalyse Sigmund Freuds und das Problem des konkreten gesellschaftlichen Allgemeinen. (Dahlemer Vorlesungen 7). Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main-Basel 2000

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(1) Die englischen und französischen Bezeichnungen für die beiden IPV Gesellschaften entsprechen nicht der üblichen Übersetzungspraxis. 
„Vereinigung“ wurde im internationalen Gebrauch seit je mit „Society, Société, Sociedad” übersetzt und für Arbeitskreis von E. Secheaud und A. Ruhs im Juli 2007 „Association, Association, Asociación” bestimmt. 
Wiener Psychoanalytische Vereinigung
Vienna Psychoanalytic Society 
Société Psychanalytique de Vienne
Sociedad Psicoanalítica de Viena
Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse
Vienna Psychoanalytic Association
Association Psychanalytique de Vienne
Asociación Psicoanalítica deViena